Der Schulstart kann für einige Kinder und Jugendliche Stress bedeuten, während andere ihn mit Freude und Zufriedenheit begrüssen. Die Wahrnehmung der Schulzeit ist individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. In diesem Blog möchte ich von zwei Kindern berichten, die unabhängig voneinander wegen emotionaler Themen ins Coaching kommen. Diese Themen standen nicht direkt im Zusammenhang mit der Schule, aber die Äusserungen der Kinder lösten viele Fragen aus und forderten eine neue Perspektive.

Hinter den Äusserungen: Emotionales Coaching im Fokus

Das Mädchen beschrieb den Schulstart als frustrierend und empfand die Schule als quälend. Der Junge äusserte Unverständnis darüber, warum er so viel Zeit in der Schule verbringen müsse und dass es wichtigere Dinge im Leben gäbe. Beide Kinder sind schulisch gut integriert, sozial kompetent und kognitiv überdurchschnittlich begabt, was die Frage aufwirft, warum sie die Schule dennoch als negativ empfinden. Ich konnte diese Aussagen natürlich nicht einfach stehen lassen und habe nachgefragt, warum sie denn die Schule als «quälend» und «nutzlos» wahrnehmen. Die Antworten waren leider nicht allzu aufschlussreich. Für mich war es jedoch der Ausgangspunkt, um für meine Arbeit als Kinder & Jugend Coach Antworten zu finden.

Die Rolle der Resilienz

Meine erste Station in der Recherche war der Fachbereich der Resilienz. Die Antwort, die sich dort im Allgemeinen finden lässt, war nicht allzu überraschend. Unsere Kinder (damit meine ich immer den Querschnitt von Kindern unserer Zeit) sind verwöhnt. Wirklich? Ist das so? Oder glauben wir das, weil es einfach überall steht und in aller Munde ist? Ich frage mich oft, ob unsere Kinder verwöhnt sind. Sicher bin ich dabei nicht. Wenn es darum geht, dass wir im Wohlstand und im Luxus leben, dann ja. Wenn es jedoch darum geht, welche Beziehungen unsere Kinder erleben, dann für mich nein. Somit ist für mich die Aussage viel komplexer als dieser Satz «Unsere Kinder sind verwöhnt».

Schule gestalten: Ein gesellschaftliches Anliegen

Viel weiter musste ich nicht mehr recherchieren. Hier war für mich schon alles an Material beisammen, dass ich für meinen Artikel brauchte. Schule ist nämlich das, was wir daraus machen. Und wenn ich von wir spreche, dann sind es wir als Gesellschaft. (Und ja, ich bin jemand, der Dinge kritisch betrachtet und ich finde bei weitem nicht alles gut, was in der Schule passiert) Im weiteren Gespräch mit meiner jungen Kundin lief es nämlich darauf hinaus, dass ihre Eltern Schule als quälend wahrgenommen haben. Ihre Mutter hatte immer Mühe in Mathe und wurde oft blossgestellt. Ihr Vater musste immer gute Noten haben, da es seinen Eltern sehr wichtig war. Sie selbst hatte gar keine Erfahrungen gemacht, die sie als quälend wahrgenommen hat. Diese Erkenntnis erlangten wir jedoch erst nach ca. 43min. Eine grossartige Erkenntnis. Eine wichtige Erkenntnis. Vor allem für den weiteren Schulweg, den dieses tolle Mädchen noch vor sich hatte. Ich möchte hier jedoch den Bogen zur Resilienzforschung machen. Genau hier sind wir nämlich verwöhnt. Verwöhnt in unserer Haltung, dass Aussen müsste sich ändern, während das Innere einfach ruhen kann. Dazu gehört eine der wichtigsten Kompetenzen, wenn es um resiliente Menschen geht – eine geschulte Selbst- und Fremdwahrnehmung. Was gehört zu mir? Und was gehört zu dir? Diese Frage haben wir immer wieder gestellt und dadurch das Bewusstsein geschärft.

Selbst- und Fremdwahrnehmung fördern

An dieser Stelle stossen wir bereits an eine weitere Kompetenz, die wir Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg geben sollten. Eine adaptive Bewältigungskompetenz. Kompetent und schlau ist nicht die/der, die/der gute Noten schreibt (natürlich auch), sondern die/der, die/der egal in welcher Situation eine Bewältigungsstrategie zur Verfügung hat. Somit wären wir bei meinem zweiten Kunden, der Schule als nutzlosen Zeitvertreib wahrnimmt. Wir verbringen rund 35h in der Schule (all in all – mal mehr mal weniger). 35h nutzloser Zeitvertreib? Dies konnte ich so nicht stehen lassen und wollte dieser Wahrnehmung, die immer wieder zu intensiven emotionalen Ausbrüchen führt, auf die Spur gehen. Der angesprochene Kunde war ein sehr guter Schüler. Als Ausländerin habe ich gelernt, dass man in der Schweiz ab 5.5 ein sehr guter Schüler ist. Das Coachinggespräch verlief konstruktiv und mit viel eigenem Antrieb. Am Ende war die Antwort klar. In Momenten, in denen sein Gehirn nicht adäquat ausgelastet ist, nimmt er sämtliche Inhalte als «langweilig» war. Langweilig, weil er dann keine Spannung mehr aufbringen kann, um sich überhaupt zu konzentrieren. Langweilig, weil sein Gehirn, ganz natürlich, neue Ideen sucht und somit super spannend findet, wenn er sein Etui künstlerisch mit Kuli bemalt oder den Nachbarn anstupst. Verhalten, welches in der Schule häufig bestraft und wofür er ermahnt wird. Die Erkenntnis, dass es nicht am Inhalt liegt, sondern an der fehlenden Spannung, die er selbst generieren müsste, hat ihm regelrecht die Augen geöffnet. Als er dann zu Hause erzählt hat, dass Schule für ihn langweilig ist, wurde die Aussage generalisiert, also auf das gesamte Setting übertragen. Schule ist langweilig, Schulzeit ist nutzlos. Geht es nach meinem Kunden, so ist dieser Glaubenssatz innerhalb eines Abends geprägt worden. Ein Abend, an dem er genau damit einschlief. «Meine Eltern sehen das wie ich – Schule ist nutzlos». Im Elterngespräch, in dem das Kind anwesend war, fiel dann noch die Aussage, dass man ja dem Lehrer als Kind völlig ausgeliefert sei. Boom. Das brauchte es noch, damit der Schulalltag für meinen Kunden noch nutzloser wurde. Zurück zur Resilienz und der Möglichkeit, unseren Kindern Bewusstsein für Bewältigungsstrategien mitzugeben. Mein Kunde plante nämlich von diesem Moment an sein Gespräch mit seiner Lehrperson. Ein Gespräch, in dem er bitten wollte, dass er flexibler arbeiten kann und in «Wartezeiten» an einem Projekt weiterarbeiten kann. Er konnte auch wie selbstverständlich Empathie zeigen und meinte, er verstehe ja, wie schwer es sei, wenn 22 Kinder unterschiedlich schnell sind. Der einzige Punkt, der ihn zufrieden machte, war der Lichtblick, dass er doch zwischendurch an etwas Eigenem arbeiten kann. So einfach kann es sein.

Was nehmen wir nun mit?

  • Wir Erwachsenen dürfen viel mehr reflektieren und uns achten, wie und was wir mit unseren Kindern sprechen. Die Macht der Wörter ist gross und dies dürfen wir uns bewusstwerden. Ich meine damit aber nicht, dass wir uns ein Blatt vor den Mund nehmen müssen. Im Gegenteil! Wir dürfen transparent sein. Wir dürfen kritisch sein. Wir dürfen aber vor allem lösungsorientiert und konstruktiv sein. Unsere Erfahrung ist nicht die unserer Kinder. Punkt.
  • In der Rolle als Kinder & Jugend Coach sind wir immer gefordert den Prozess so zu gestalten, dass wir Vertrauen in unser Gegenüber haben. Auch wenn es anfangs oft nicht so scheint – unser Nachwuchs hat Ressourcen dabei, die an die derzeitigen Anforderungen angepasst sind. Unsere Kinder sind ideenreich, lösungsreich, kreativ und haben Zugang zu Informationen, die ältere Generationen nie hatten. Deshalb darf der Kinder und Jugend Coach den Prozess mit Vertrauen und Selbstverständlichkeit führen. Unsere Kinder tragen ihre Lösungen bei sich.
  • Betrachtet man diese zwei Fallbeispiele, so ist klar: Meistens ist es anders als es scheint. (oder sogar immer?) Hätte man in beiden Fällen das Gewicht auf die Aussagen gelegt und sie vielleicht noch dafür bemitleidet, was sie in der Schule erleben, hätten wir sie in ihrer (falschen) Wahrnehmung bestärkt. Dies hätte dazu geführt, dass sich der Prozess verhärtet und der Leidensdruck steigt. Was danach kommt, möchte ich hier nicht näher erläutern. Wir alle haben Verantwortung aufzuzeigen, wo wir Bewältigungsstrategien brauchen und wo wir unser Handeln wirkungsvoll einsetzen können.
  • Ein Bewusstsein darf jedoch immer vorhanden sein: Jeder von uns gestaltet seine Welt. Mit Gedanken und mit Handlungen. Wenn wir hier Bewusstsein schaffen, hoffen wir, dass noch viele Kinder und Jugendliche erkennen, wie sie ihren Alltag gestalten können und wo ihr Wirkungskreis für Veränderungen ist. Und wenn ich hier meine Gedanken weiterspinne, dann hoffe ich auch, dass so manche Bezugsperson unserer Kinder erkennt, wie wichtig dieses Bewusstsein ist.
  • Fordert und fördert unsere Kinder. Bewältigungsstrategien und eine realistische Selbsteinschätzung entstehen nicht, wenn wir unsere Kinder in Watte packen und keine Fehler machen lassen. Resilienz muss entwickelt werden. Dazu braucht es Training. Nicht jede Belastung ist gefährlich. Nicht jede Überforderung ist schädlich. Im Gegenteil, wir müssen unsere Kinder fit fürs Berufsleben machen. Je mehr Skills in Selbstregulation sie mitbringen, umso gesünder werden sie das Berufsleben meistern.

In diesem Sinne: Macht was draus!

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Die Autorin

Sabrina Erni

Name: Sabrina Erni

Beruf: Ausbilderin

Website: ipc-akademie.com

Motto: «Der Sturm wird stärker. Ich auch.»

Ausbildner in: Zertifikat Coach, Diplom Kinder & Jugend Coach

Entdecken Sie Sabrinas Leidenschaft: Die optimale Begleitung angehender Coachs, Berater:innen und Trainer:innen auf ihrem Weg zur vollen Entfaltung ihres Potenzials. Mit langjähriger Erfahrung und einem Herz für ganzheitliche Entwicklung sorgt Sabrina dafür, dass Fachwissen nicht nur erlernt, sondern auch in die Praxis umgesetzt wird. Bei der IPC Akademie setzt sie auf zeitgemässe Inhalte und legt Wert auf die Transformation von Teilnehmer:innen zu kompetenten Begleitpersonen. Erfahren Sie, wie Sie Ihre Ressourcen nutzen und Ihre Ziele erreichen können.