Stellen Sie sich vor, beim letzten Sturm ist in Ihrem Garten ein grosser Baum umgefallen. Anstatt das Holz selbst zu verfeuern oder zu verkaufen, beschliessen Sie, daraus einen Esstisch und zwei Bänke zu bauen. Über Wochen arbeiten Sie allein, mit Freunden oder Familie an den neuen Möbeln, bis Sie sie endlich zum ersten Mal feierlich einweihen, wissend, dass Sie sich für den Rest des Lebens an die harte Arbeit und den alten Baum aus Ihrem Garten erinnern werden.

Wenn Sie diese Garnitur dann verkaufen müssten, welchen Wert würden Sie ihr geben?

Im anderen Fall: würden Sie in ein Möbelgeschäft gehen, um einen neuen Tisch und Bänke zu kaufen, was wären Sie bereit, dafür auszugeben?

Der Forschung nach ist davon auszugehen, dass Sie für ihre selbstgebaute Garnitur einen deutlich höheren Preis ansetzen würden als für die Möbel, die Sie fix und fertig einkaufen können. Der sogenannte IKEA-Effekt [1] besagt, dass das Mass der Anstrengung, die in eine Arbeit investiert wird, die Wertschätzung deutlich steigert. Die Psychologen Michael Norton und Dan Ariely liessen 2011 Probanden Ikea-Möbel zusammenbauen und fanden heraus, dass selbsterstellte Arbeit deren subjektiven Wert um durchschnittlich 63% erhöht.

1. Der IKEA-Effekt in der Führung

Auch Führungskräfte können von diesem Wissen profitieren. Denn es ist egal, ob die Arbeit, wie im Beispiel, materieller oder immaterieller Art ist. Je mehr persönliches Engagement Ihre Mitarbeiter in ihre Arbeit einbringen, desto mehr Wertschätzung bringen Sie ihr entgegen – und desto motivierter sind Sie dabei. Stellt sich die Frage: wie können Sie als Führungskraft genau diese Motivation erzeugen?

Ein zentraler Faktor ist bekanntlich das Setzen von klaren, sinnvollen, messbaren und realistischen Zielen, in denen sich die Mitarbeiter wiederfinden können. Den Fehler, den viele Führungskräfte dabei aber machen, ist, den Menschen nicht nur Ziele vorzugeben, sondern ihnen gleich auch noch mitzugeben, wie diese erreicht werden. Die Gründe für dieses Vorgehen sind meist gut gemeint.

Falsch eingesetzte Hilfsbereitschaft verhindert Motivation

Da ist zum einen falsch verstandene Hilfsbereitschaft: man möchte es den Mitarbeitern möglichst leicht machen, die gesetzten Ziele zu erreichen und dabei Zeit sparen, die durch ineffiziente oder fehlerhafte Arbeit verloren geht. Jedoch erzeugt das nicht nur das Gefühl bei den Mitarbeitern, dass man ihnen nicht zutraut, den Weg ans Ziel zu finden – sondern durch das Verhindern von Fehlern nimmt man den Menschen zudem die Möglichkeit zu lernen und die eigenen Fähigkeiten zu verbessern.

Kritik am Weg verhindert Eigeninitiative

Eine weitere menschliche Eigenschaft ist ebenfalls kontraproduktiv in der Führung von Menschen: das Gefühl, dass nur der eigene Weg zum Ziel der Richtige ist. So wie der Autofahrer meist das Gefühl hat, alle anderen könnten nicht Autofahren, so glauben viele Führungskräfte, dass nur sie wissen, auf welchem Weg das Ziel am besten zu erreichen ist. Oft kommt diese Haltung nicht nur in Kombination mit dem Wunsch nach Kontrolle, sondern auch noch damit, die eigene Fachkenntnis zu demonstrieren: nur der Chef weiss genau, wie man dahin kommt, wo man hinwill. Deswegen ist sie ja auch Chef! Diese Art der Vorgesetzten geizt dann auch nicht mit Kritik, sollte die Arbeit nicht genau so erledigt sein, wie sie sich das vorgestellt hat. Und es sind zumeist die, die sich augenrollend und seufzend über die Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit ihrer Belegschaft beschweren.

Das Resultat ist eigentlich einleuchtend, wird aber vielfach einfach nicht gesehen: die Mitarbeiter verlieren jegliche Eigeninitiative, denn ihre Leistung wird ja offensichtlich nicht geschätzt, nachträglich korrigiert, oder landet in der Schublade. Warum sich also in Zukunft anstrengen? Nicht nur wird also Eigeninitiative getötet, es findet auch ein Identifikationsverlust mit der Arbeit und/oder der Firma statt.

Gesundheitliche Konsequenzen

Der Effekt dieser Eigenschaften ist nicht nur für den Mitarbeiter negativ, auch die Führungskraft selbst leidet im permanenten Gefühl, es hänge alles an ihr. Der eigene Stresspegel steigt. Die Spirale hält sich dadurch selbst am Leben, was nicht selten zu Überlastung und Krankheiten führt.

Im letzten Jahrtausend wurden in England die sogenannten Whitehall Studien gestartet, die über Jahrzehnte Tausende von Arbeitnehmern begleiteten (und es immer noch tun) um herauszufinden, welche Faktoren in der Arbeitswelt Auswirkungen auf Gesundheit und Sterberisiko haben. Schon früh entstand die Erkenntnis, dass Menschen auf den unteren hierarchischen Stufen deutlich gestresster und gesundheitlich angeschlagener sind als Führungskräfte. Ebenso konnte in den Whitehall II Studien [2] ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen dem Mass der Entscheidungsfreiheit am Arbeitsplatz und der Sterberate. Je grösser die Entscheidungsfreiheit, desto gesünder und langlebiger war die Belegschaft.

Auch aus der modernen Hirnforschung weiss man mittlerweile, dass der Mensch ein angeborenes Grundbedürfnis nach Gestaltung und Entfaltung hat. Je länger dies ausgelebt werden kann, desto höher ist sogar die Lebenserwartung [3]. Erfolgreiche Firmen sind dafür bekannt, dass ihre Mitarbeiter viel Gestaltungsfreiheit haben. Sie kennen den Unterschied zwischen zwei kurzen, aber wichtigen Wörtern.

2. Wieviel WIE steckt in ihrem WAS?

Corona zwang viele Führungskräfte auf einmal zu etwas, das sie vorher nie gekonnt hatten: Loslassen. Auf einmal waren ihre Mitarbeiter im Home Office und damit ausserhalb ihrer permanenten Kontrolle und Überwachung, wie sie genau ihren Tag gestalteten. Jetzt, nach Corona, sind viele Unternehmen in Sachen Arbeitsplatzwahl offener geworden, während es aber immer noch viele Manager:innen gibt, die in den alten Modus zurückwollen. Und auch unter denen, die mehr Home Office zulassen, gibt es die Führungskräfte, die Mühe haben, zwischen zwei Wörtern zu unterscheiden: WAS und WIE.

WAS steht für Ziele und Leitplanken setzen. Das ist ein Muss in der Führung, damit alle am gleichen Strang zielen. Was wollen wir erreichen? Was ist das Ziel des Projekts? Was soll das Ergebnis der Marketing-Kampagne sein? Je klarer, realistischer, messbarer und sinnvoller der Zielsetzungsprozess, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit dort auch hinzukommen. Des Weiteren steht WAS für Leitplanken und Regeln, nach denen sich die Belegschaft richten muss: zum Beispiel Arbeitszeiten, Kosten-, Qualitäts- und Zeitvorgaben.

Alles andere gehört zum WIE. Das steht für den Weg zum WAS. Das WIE gilt es zu minimieren und dadurch den Mitarbeitenden den grösstmöglichen Entfaltungsspielraum zu geben. Viele Wege führen nach Rom! Nur durch die Freiheit, den Weg an ein Ziel selbst gestalten zu können, werden Mitarbeiter motiviert, Eigeninitiative einzubringen und ihre Arbeit – wie die selbstgebaute Esstischgarnitur – zu wertschätzen. Und diese Freiheit hört nach der Zielerreichung nicht auf. Wenn das Team einen anderen Weg gewählt hat als die Führungskraft sich das vielleicht vorgestellt hat – dann erst recht zeigt sich die Qualität eines guten Managers: indem sie zusammen mit Mitarbeitenden den gemachten Weg analysiert, bewertet und Schlussfolgerungen für die Zukunft zieht. Um beim nächsten WAS tatsächlich effizienter ans Ziel zu kommen.

Wann wird WAS zu WIE?

Aber Achtung: ganz so einfach sind WAS (Ziel) und WIE (Weg) nicht immer zu trennen. Manchmal wird aus einem WAS ein ungewolltes WIE. Nämlich dann, wenn Regeln und Leitplanken so eng gesetzt werden, dass für das WIE kein Gestaltungsspielraum mehr bleibt. Wenn die Zeit keine Möglichkeit für Mitarbeiter oder Team bietet, den Weg zum Ziel zu erarbeiten. Oder wenn ein vorgegebener Kostenrahmen so unrealistisch ist, dass das Ziel als unrealistisch angesehen wird und damit jede Anfangsmotivation im Keim erstickt wird. Manchmal ist das unabdinglich, z.B. in Krisensituationen, aber im normalen Arbeitsalltag sollten das echte Ausnahmen bleiben.

3. Fazit

Die Regel für Führungskräfte muss also lauten: So wenig WAS wie nötig, dafür soviel WIE wie möglich!

Das Ergebnis ist ein Win-Win für alle: Durch möglichst viel Freiheit im WIE, das heisst Entfaltung und Gestaltung des Wegs zum WAS, kann die Führung das eigene Hirn schonen – und der Mitarbeitende ist motiviert, engagiert sich und bleibt dem Unternehmen treu. Die Arbeit wird geschätzt. Der IKEA-Effekt wirkt.

Quellenangaben:
IKEA-Effekt
Whitehall II Study
– Purps-Pardigol, Sebastian; Führen mit Hirn; Buch; 2015; Campus Verlag; Frankfurt am Main

Die Autorin

Christine Lang

Name: Christine Lang

Beruf: Betrieblicher Mentor, Coach, Dipl. Sport Mental Coach

Website: lustauferfolg.ch

Motto: «Persönlichkeit beginnt dort, wo du dich selbst kennenlernst»

Ausbildner in: Zertifikat Coach, Business Coach, SVEB-Zertifikat Praxisausbilder/in

Christine Lang ist in über 30 Jahren in kleinen, mittleren und grossen Unternehmen sowie internationalen Konzernen die Karriereleiter hochgestiegen. Als betriebliche Mentorin begleitet sie jetzt Menschen in ihren persönlichen und beruflichen Entwicklungen. Gleichzeitig ist sie Sportlerin auf internationalem Level und diplomierter Sport Mental Coach. Ihr Fokus liegt auf der praktischen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für bestmögliche Leistung in Beruf und Sport. Die Themen Leadership durch Selbstreflexion, Visualisierung, Lernen und Stressbewältigung sind nur einige der Themen, in denen sie Wissenschaft mit praktischer Anwendung und eigener, langjähriger Erfahrung kombiniert.