Während meiner Zeit in der Unternehmensberatung, in der ich viel reiste, lebte ich für die Dauer der Projekte jeweils von Montag bis Freitag im Hotel. Auch wenn es nicht mein Ding war, abends allein im Restaurant oder an der Bar zu sein, kam es doch ab und zu mal vor. Eines Abends sass ich an der Hotelbar und unterhielt mit dem Barkeeper, da setzte sich ein Mann zu mir und begann ein Gespräch. Er war interessant, wortgewandt und durchaus charmant. Es war unterhaltsam, was er so erzählte von sich. Er war viel gereist und es entwickelte sich ein gutes Gespräch, auch wenn ich irgendwann fand, er trug gar ein wenig viel auf, als er von seiner Villa in Italien und seinem Lamborghini erzählte. Nach einer Weile wollte ich mich verabschieden, da lud er mich ein, ob ich nicht am späteren Abend noch zu einer Party in seine Hotelsuite kommen wollte. Er hätte Geburtstag und es kämen noch ein paar andere Gäste. Ich lehnte dankend ab und war auch ganz froh um die Ausrede des wichtigen Workshops am nächsten Tag. Als ich wieder auf meinem Zimmer war und über den Herrn nachdachte, verstärkte sich mein komisches Bauchgefühl. Irgendwie waren mir seine Geschichten etwas zu dick aufgetragen, oder passten nicht so richtig zusammen. Aber so recht greifen konnte ich es nicht.

Da sprach das, was wir als Bauchgefühl oder auch Intuition bezeichnen. Sie sprach mir eine interne Warnung aus: lass dich auf diesen Mann nicht ein! Manche Menschen schwören darauf. Intuition können wir nicht greifen, da sie sich so schlecht in Worte fassen lässt. Ich habe das mal recherchiert – und Interessantes herausgefunden. Die schlechte Nachricht gleich vorab: die Forschung steht diesbezüglich erst am Anfang. Verschiedene Wissenschaftler erklären die Intuition aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Intuition – alte Erinnerungen oder ein Schnellschuss unseres Gehirns?

Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann spricht in seinem Bestseller «Thinking Fast and Slow» bei Intuition davon, dass Intuition nichts anderes ist als unbewusste Wiedererkennung alter Erinnerungen und Erfahrungen. Also das Unterbewusstsein, das auf «Bestehendes» zurückgreift und damit dieses «Bauchgefühl» auslöst, ohne dass diese Erlebnisse einem bewusst sind. Bei Kahnemann entsteht Intuition durch Erfahrung, z.B. Feuerwehrleute, die intuitiv wissen, wann sie sich in einem brennenden Haus aus dem Staub machen müssen, oder Schachspieler, die den nächsten Zug ohne zu Denken setzen können.

Eine andere Art der Intuition, der keine abrufbaren Erfahrungen zugrunde liegt, ist gemäss Kahnemann, der Versuch unseres Unterbewusstseins, einen Sinn in der aktuellen Situation zu finden. Das ist ein automatischer Prozess, bei dem auch wieder auf altes Wissen zurückgegriffen wird, das aber mit der jetzigen Situation nichts zu tun hat, z.B. der Entscheid, ein Auto, das einem eigentlich gefällt, nicht zu kaufen. Die Ablehnung kann daher kommen, weil der Verkäufer ein Bartträger ist und einem mal als Kind ein Mann mit Bart einen kaputten Gameboy angedreht hat. Der Nichtkauf des Autos hat nichts mit dem Auto oder dem Verkäufer zu tun, sondern mit dem lange vergessenen Erlebnis aus der Kindheit. Unser Hirn versucht einfach, unglaublich effizient in der Entscheidungsfindung zu sein, nimmt dabei Abkürzungen und schlägt unserem Bewusstsein etwas vor – was sich unglaublich zwingend und richtig anfühlt, und doch falsch ist. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen als Heuristik bezeichnet.

Der Bauch – tatsächlich die Quelle der Intuition?

Tara Swart, Hirnforscherin am Massachusetts Institute of Technology, spricht in «The Source» vor allem von der Gut-Brain Connection, also der gegenseitigen Beeinflussung unserer Darmflora und unseres Hirns. Physiologisch ist es ultra-komplex. Mittlerweile weiss man, dass Erfahrungen auch im zentralen Nervensystem der Wirbelsäule und in den Neuronen des Verdauungssystems gespeichert werden. Nur leider können wir mit dem «Bauch-Gedächtnis» Erinnerungen, die dort gelagert sind, nicht in Worte fassen. In der Wissenschaft wird unser Bauch-Gedächtnis manchmal auch als zweites Hirn bezeichnet.

Bei Swart ist Intuition nicht nur im Hirn, sondern zusätzlich im Bauch angesiedelt. Hier kommt unsere Ernährung ins Spiel. Die Wissenschaft hat eine klare Verbindung gefunden zwischen dem Zustand unseres Microbioms im Darm und unseres emotionalen Befindens, was ja bekanntlich unsere Entscheide beeinflusst. Wenn wir «nicht gut drauf» sind, werden wir auch eher abschlägige/negative Entscheide treffen. Wir denken langsamer und es fällt uns schwerer, wenn wir krank sind. Dann ist auch meist, ohne dass wir es wissen, unsere Darmflora gestöhrt. Nicht nur, dass aus unserem Darm Hormone permanent ins Hirn geschickt werden, es wird auch andersherum zum Beispiel der aktuelle Stresslevel permanent an den Darm gemeldet7. Stress hat also einen direkten Einfluss auf unseren Darm und vice versa.

Mehr und mehr findet man heraus, dass sich unser Kopf-Hirn und unser Bauch-Hirn gegenseitig beeinflussen. Ebenfalls ist erwiesen, dass unsere Emotionen und spontane Reaktionen stark durch Hormone und Neurotransmitter beeinflusst werden, die in unserem Bauch produziert werden. Prominentestes Beispiel: Serotonin, das Glückshormon. Bevor wir überhaupt einen bewussten Gedanken fassen können, ist alles, was wir wahrnehmen, bereits durch unser emotionales Gedächtnis «gewaschen» worden – und das wird vom Bauchgefühl massiv gefüttert.

Der Intuition vertrauen – ja oder nein?

So, wie die Wissenschaft die genaue Quelle der Intuition noch nicht erklären kann, so sind sich die Gelehrten auch in Bezug auf die Frage, ob man seinem Bauchgefühl denn nun trauen kann, generell nicht einig. Während es unzählige Studien gibt, die belegen, dass Entscheidungen, die rein auf Intuition beruhen, durchaus richtig sind, so gibt es genauso viele, die dem widersprechen.

Die Antwort, wie so oft im Leben, scheint zu sein: es kommt darauf an! Handelt es sich um Entscheidungen, die viel mit Erfahrung zu tun haben, wie bei den Feuerwehrleuten, dann ist die Intuition eine recht zuverlässige Entscheiderin. Geht es jedoch um Entscheide, die sehr komplexer Natur sind und nicht eindeutig einem Erfahrungsschatz zuzuordnen sind, dann lohnt sich eine bewusste und rationelle Analyse und Bewertung von Entscheidungskriterien.

Zurück zur Hotelbar…

Am nächsten Abend ging ich wieder an die Bar, derselbe Barkeeper. Kaum sass ich auf meinen Hocker, da legt er schon los: ob ich mich an den Typ vom Abend vorher erinnere. «Ja, Klar» sagte ich so, «eine schillernde Person» rutschte es mir raus. Da nickte der Barkeeper und erzählte mir, dass der Mann kurz nach mir die Bar verlassen hätte. Seine Rechnung hätte er auf sein Zimmer schreiben lassen. Nur hätte sich am nächsten Tag herausgestellt, dass in dem Zimmer gar kein Gast übernachtete. Die darauf gerufene Polizei identifizierte den Typ anhand der Beschreibung als polizeilich gesuchten Hochstapler. Schon wieder sei er ihnen entwischt.

Ich kann mich nicht erinnern, vorher in meinem Leben schon mal einem Hochstapler begegnet zu sein. Nach all den Recherchen bin ich nun also so schlau wie zuvor. Aber wer weiss? Über Nacht bekam ich die Grippe. Womöglich hatte mein Bauchhirn in seinem vor-kränklichen Zustand ein entsprechendes Hormon ins Hirn geschickt, das mich dazu brachte, dem netten Herrn einen Korb zu geben. Ohne Erfahrung. Und ohne rationelles Denken. Noch mal Glück gehabt!

Quellenangaben:
– Kahnemann, Daniel, Schnelles und langsames Denken, Siedler Verlag, München, 2011
– Dr. Tara Swart, The Source, Penguin Random House, London, 2020
Laura Kutsch, Can we rely on our Intuition?, Scientific American, 15.08.2019

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Die Autorin

Christine Lang

Name: Christine Lang

Beruf: Betrieblicher Mentor, Coach, Dipl. Sport Mental Coach

Website: lustauferfolg.ch

Motto: «Persönlichkeit beginnt dort, wo du dich selbst kennenlernst»

Ausbildner in: Zertifikat Coach, Business Coach, SVEB-Zertifikat Praxisausbilder/in

Christine Lang ist in über 30 Jahren in kleinen, mittleren und grossen Unternehmen sowie internationalen Konzernen die Karriereleiter hochgestiegen. Als betriebliche Mentorin begleitet sie jetzt Menschen in ihren persönlichen und beruflichen Entwicklungen. Gleichzeitig ist sie Sportlerin auf internationalem Level und diplomierter Sport Mental Coach. Ihr Fokus liegt auf der praktischen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für bestmögliche Leistung in Beruf und Sport. Die Themen Leadership durch Selbstreflexion, Visualisierung, Lernen und Stressbewältigung sind nur einige der Themen, in denen sie Wissenschaft mit praktischer Anwendung und eigener, langjähriger Erfahrung kombiniert.