Welche deiner Eigenschaften würdest du gern loswerden? Und was tust du dafür?

Schlechte Gefühle über sich selbst, oder auch Ängste und Selbstzweifel vergleiche ich gern mit einer Stechmücke, die einen nachts piesackt. Im Dunkeln schwirrt sie dir um den Kopf und raubt dir den Schlaf. Du schlägst nach ihr. «Geh weg!». «Hau ab!». Aber nie triffst du sie. Vielleicht ist sie mal für eine Weile still, aber immer kommt sie wieder, gerade wenn du wieder am Einnicken bist oder vergessen hast, dass sie immer noch da ist.

In dem Moment, in dem du dich entscheidest, dich auf die Suche nach dem lästigen Plagegeist zu machen, passiert etwas: du bist zwar genervt, aber du hast Wissensdurst, d.h. du wirst neugierig. Was ist es genau, das mich da belästigt? Wo ist das Biest? Wie gross ist es? Wie werde ich es los?

Im Fall des nächtlichen Plagegeists entsteht durch deine Neugier Motivation. Durch Neugier entsteht aber auch Innovation. Durch Neugier entsteht Problemlösung. Durch Neugier entsteht Energie. Durch Neugier entsteht Aktivität. Durch Neugier entsteht – wie der Name schon sagt: sehr oft Neues!

Neugier ist also DIE Superkraft menschlicher Fähigkeiten und DER Treiber von persönlicher Entwicklung. Leider wurde ihre positive Kraft bei vielen von uns schon früh gebremst: spätestens nach dem fünften «Warum» im Kindesalter kam von den Eltern die augenrollende Antwort: «Nun sei doch nicht so neugierig!».

D-Neugier – motiviert einmalig

Einer des wissenschaftlichen Ansätze, Neugier zu erklären, kommt von den bekannten amerikanischen Psychologen Jordan A. Litman und Paul J. Silvia. Sie unterscheiden Neugier in zwei Arten: die sog. D-Neugier und I-Neugier. Die D-Neugier machen sich zum Beispiel die Produzenten von Serien zunutze. Das D steht dabei für «deprivation», was soviel heisst wie Defizit, Verlust, Entzug. Ihr ahnt es: wenn die Guten am Ende einer Episode knapp dem Mörder entkommen sind, aber klar ist, dass er weiter nach ihnen sucht, will man unbedingt wissen, wie es weitergeht. Du hast dann ein Wissensdefizit. So binden die Filmemacher dich an die Serie. Dieses Wissensdefizit fühlt sich irgendwie schlecht an. Auch dein Smartphone triggert jedes Mal, wenn es PING macht, deine D-Neugier und du musst UNBEDINGT gleich nachschauen, damit du BLOSS nichts verpasst.
In dieser D-Neugier wird ein Mangel generiert, der eine kurzzeitige Aktion auslöst, aber zu keinerlei Innovation oder echter Veränderung führt. Diese Art der Neugier ist eine Sackgasse. Hat man das Ende erreicht, geht es nicht weiter. Ein kurzfristiges Verlangen ist befriedigt, ein kurzer Dopamin-Stoss im Hirn, aber das war’s dann auch schon. Das ist noch keine Superkraft.
Auch deine nächtliche Stechmücke generiert D-Neugier. In diesem Falle könnte das D auch für «Destruction» (Zerstörung) stehen, denn du möchtest das Biest ja erledigen. Na, immerhin hat sie dich motiviert.

I-Neugier – die Superkraft

Die Superkraft aber, steckt in der anderen Art der Neugier, der «I-Neugier». Das I steht für Interesse. Betonung bei dieser Form der Neugier liegt hier eindeutig auf NEU. Jemand, der I-Neugier verspürt, ist interessiert und wissensbegierig. Wie das kleine Kind. Ein ganz anderes Gefühl als die D-Neugier, bei der die Betonung auf GIER liegt. Jemand, der aus Interesse neugierig wird, liest vielleicht einen Artikel im Internet, klickt auf einen weiterführenden Link und Stunden später sitzt er immer noch vor dem Bildschirm, hat vielleicht sogar Bücher gekauft, im eigenen Regal gekramt, oder sich vorgenommen, mit einem Freund oder einer Kollegin darüber zu sprechen.
Durch diese Art der Neugier entsteht Neues. Sie triggert Lernen. Sie generiert Problemlösung. Durch sie entsteht nicht nur kurzfristige Motivation und Energie, sondern langfristige Entwicklung. Auch Neurobiologisch. Denn I-Neugier, einmal in Gang gekommen, erzeugt neue, komplexe Synapsenverbindungen im Hirn.
Gut, auch D-Neugier, wird sie bedient, erzeugt vielleicht neue neuronale Verbindungen im Hirn. Jedoch sehr limitiert, in kleinem Umfang. Nur grade so viel, wie es braucht, um das Defizit zu füllen. Im Falle unserer Stechmücke: herauszufinden, wo das Biest sitzt. Und um eine kleine Dopaminspritze zu erhalten, wenn das Biest erledigt oder des Raums verwiesen wurde. Die Befriedigung von D-Neugier ist wie ein Loch im Strumpf, der gestopft wird. Mehr nicht.

Hmmm? Und was hat das jetzt mit dir zu tun?

Zurück zu unserer Stechmücke. Sie ist eine schöne Metapher für die kleinen und grossen Ängste, Selbstzweifel, die Eigenschaften, die du so gern loswerden würdest oder negative Gedanken und Gefühle, die die meisten von uns immer mal wieder umtreiben. Wie gern würdest du sie loswerden. Aber erst wenn du dich aufraffst, das Licht anmachst, und nach ihnen suchst, wirst du sie letztendlich los.
Dazu kannst du deine in dir versteckte und vielmals unterdrückte Superkraft namens Neugier einsetzen. Aber die mit dem «I» davor. Anstatt alles zu versuchen, die negativen Gedanken und Gefühle loszuwerden wie eine lästige Stechmücke – die unausweichlich immer wiederkommt – dreh dich ihnen doch mal entgegen mit einem lauten «Hmmmh? – wer seid ihr eigentlich»? Nur diese kleine Silbe «Hmmm?», ausgestossen als Frage mit geschlossenem Mund, triggert deine I-Neugier – mit Betonung auf «Neu». Du beginnst, dich für deine kleinen Dämonen zu interessieren. Möchtest z.B. wissen: wie fühlt sich Ungeduld im Körper an? Welche Gedanken generiert dieses Gefühl? Was hat die Nervosität eigentlich für Intentionen? Was möchte sie dir sagen, wenn du endlich mal zuhören würdest? Und welche Möglichkeiten gibt es, sie positiv zu beeinflussen?
Mit dieser kleinen Silbe bewegst du dich gegenüber dir selbst in eine Metaperspektive, interessierst dich auf einmal für deine Dämonen, erhältst dadurch Abstand und wirst NEUgierig – und wirst herausfinden, dass es ganz viele Möglichkeiten gibt dich mit ihnen zu befassen und sie unter Kontrolle zu bringen. Helfen kann dir dabei natürlich auch ein professioneller Coach. Das ist dann wie das Licht anmachen und auf eine Leiter steigen. Geht schneller, ist einfacher – und der I-Effekt ist deutlich grösser.

Quellenangaben:
Litman, Jordan A. / Silvia, Paul J. „The latent structure of Trait Curiosity: Evidence for Intererst and Deprivation Curiosity Dimensions“, Journal of Personality Assessment, 86(3), pp 318-328
Daisy Yuhas, „Curiosity Prepares the Brain for Better Learning“, Scientific American, Oct 2014

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Die Autorin

Christine Lang

Name: Christine Lang

Beruf: Betrieblicher Mentor, Coach, Dipl. Sport Mental Coach

Website: lustauferfolg.ch

Motto: «Persönlichkeit beginnt dort, wo du dich selbst kennenlernst»

Ausbildner in: Zertifikat Coach, Business Coach, SVEB-Zertifikat Praxisausbilder/in, Mentales Training im Sport

Christine Lang ist in über 30 Jahren in kleinen, mittleren und grossen Unternehmen sowie internationalen Konzernen die Karriereleiter hochgestiegen. Als betriebliche Mentorin begleitet sie jetzt Menschen in ihren persönlichen und beruflichen Entwicklungen. Gleichzeitig ist sie Sportlerin auf internationalem Level und diplomierter Sport Mental Coach. Ihr Fokus liegt auf der praktischen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für bestmögliche Leistung in Beruf und Sport. Die Themen Leadership durch Selbstreflexion, Visualisierung, Lernen und Stressbewältigung sind nur einige der Themen, in denen sie Wissenschaft mit praktischer Anwendung und eigener, langjähriger Erfahrung kombiniert.