Lärm und Stille
Wir alle Leben im Äusseren und im Inneren voller Lärm – im Inneren sagen uns Stimmen, was wir tun und was wir lassen sollen – im Äusseren piepst das Smartphone nonstop, überall läuft Musik – Geräusche, Lärm und nochmals Geräusche. (Fast) alle leiden darunter. Wir leben in der Welt der Form – in einer Dualität. Alles hat ein Gegenüber, so auch der Lärm – sie heisst « Die Stille». Schauen wir einmal genauer an, was Stille, das Autogene Training und die Funktion einer Begleitperson verbindet.
Zwei wissenschaftliche Betrachtungsweisen
Was passiert im Gehirn, wenn wir regelmässig Stille haben? Dazu gibt es eine sehr interessante Studie der Uni Dresden aus dem Tierreich. Das Team um Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Dresden ging der Stille mit Experimenten bei Nagetieren auf den Grund. Die Forscher wollten wissen, ob bestimmte Geräusche das Nervenzellwachstum im Hippocampus erwachsener Tiere anregen. Deshalb teilten sie die Nager in Zehnergruppen auf und setzten sie für jeweils zwei Stunden pro Tag unterschiedlichen Geräuschkulissen aus. Die eine Gruppe hörte konstantes Rauschen, die andere Mozart-Musik und eine dritte die Rufe von Jungtieren. Eine weitere Fraktion lauschte dem üblichen Geraschel des Laborstalles – und eine letzte befand sich in absoluter Stille. Zu verschiedenen Zeitpunkten bestimmten die Wissenschaftler die Anzahl neuer Nervenzellen.
Verglichen mit der gewohnten Geräuschkulisse stimulierten fast alle Bedingungen bereits nach einem Tag die Neurogenese im Hippocampus. Nur das Rauschen zeigte keinerlei Effekt. Nach sieben Tagen wiesen jedoch nur noch diejenigen Mäuse mehr neue Nervenzellen auf, die zwei Stunden pro Tag von jeglichen Geräuschen abgeschirmt waren – also in Stille waren. Die entstandenen Vorläuferzellen konnten sich also nur zu funktionsfähigen Neuronen ausdifferenzieren, wenn die Tiere regelmässig längerer Stille ausgesetzt waren.
Bei Menschen heisst die Studie «Attention-Restoration-Theory», welche auf dem Buch und dem Wissen von Rachel und Stephen Kaplan «A Psychology Perspective» basiert und ebenfalls sehr interessant ist. Die Aufmerksamkeitswiederherstellungstheorie (ART) besagt, dass Menschen sich besser fühlen und sich besser konzentrieren können, wenn sie entspannt sind, Zeit in der Natur verbracht haben oder sogar Naturszenen betrachtet haben. Aus philosophischer Sicht galt die Natur schon lange als Quelle des Friedens und der Energie, doch die wissenschaftliche Gemeinschaft begann erst in den 1990-er Jahren mit verschiedenen Tests, um Aussagen und Belege zu erarbeiten, dass die Natur oder deren Bilder auf den Menschen eine regenerierende Eigenschaft auf den Menschen haben.
Religionen und spirituelle Traditionen
Wir können alle Religionen oder spirituelle Richtungen anschauen – Stille ist in ausnahmslos allen Richtungen ein fester Bestandteil, sei es beim Beten wie auch beim Meditieren.
Vielleicht lesen wir es nicht in der Zeitung, hören es nicht im Radio oder sehen es auch nicht im Fernseher, aber wenn wir die Beispiele der Wissenschaften aus dem Tierreich, Studien beim Menschen sowie die Religionen und Spirituellen Traditionen anschauen, können wir zusammenfassend sagen, das Stille für uns etwas sehr Positives darstellt, sei dies auf psychischer wie auch auf physischer Ebene.
Für den äusseren Lärm bezahlen wir
Wenn wir aus einer Adlerperspektive uns selbst und unsere Gesellschaft anschauen, machen wir sehr wenig, um Stille zu erfahren oder selber still zu werden. Wir geben jeden Tag sogar Geld aus, damit wir noch mehr Lärm ausgesetzt sind. Musik und Erreichbarkeit überall. Warum eigentlich? Kann es eventuell sein, dass dies von verschiedenen Interessensgruppen sogar gewollt ist? Mit Stille Geld zu verdienen ist nicht ganz einfach – mit Lärm sehr wohl. Hier im Äusseren hat jeder Mensch die Wahl zu verschiedenem Lärm nein zu sagen – oder ihn zu reduzieren.
Der innere Lärm hört nicht von selbst auf
Wir, mit ganz wenigen Ausnahmen, kennen es alle. Da ist im Inneren eine Stimme, die lobt, die kritisiert, die bewertet und beurteilt – nicht selten sind die Gedanken (pro Mensch ca. 60’000 Stück täglich) negativ oder destruktiv. Viel Lärm, wenig bis gar keine Stille. Gepaart sind diese Gedanken mit Emotionen – von Unruhe bis Angst ist die Skala breit. Der Lärm hat in unserem Inneren ein Eigenleben. Die Kombination von Gedanken und Emotionen lassen der Stille nicht viel oder gar keinen Platz.
Autogenes Training
Das Autogene Training wurde vor knapp 100 Jahren von Prof. Dr. Schultz erarbeitet und von vielen Fachpersonen weiterentwickelt. Schon zu dieser Zeit waren der Lärm und die Stille ein Thema. Das Ziel und die Wirkung vom Autogenen Training kann vereinfacht wie folgt definiert werden: Selbst-Regulation von Körper, Emotionen und Gedanken.
Wie Sigmund Freud, Alfred Adler oder der Vater des Autogenen Trainings J.H. Schultz haben auch andere verschiedene grosse Persönlichkeiten der Psychologie darauf hingewiesen, dass es im Inneren einen Bewusstheitszustand der Stille gibt, der erzeugt und aufrechterhalten werden kann. Der Vater des Autogenen Trainings hat ihn «Gleichschwebender Zustand» genannt – ein anderes, modernes Wort für den Zustand lautet «Mindfulness». Diesen Bewusstseinszustand erreichen wir im Autogenen Training über die «organische Umschaltung», welche auch in Kombination mit Bildern aus der Natur trainiert wird. In diesem Zustand hält das Denken an, Emotionen sind ruhig, der Körper ist entspannt – es tritt im Inneren eine Stille ein. Lernen kann das Autogene Training grundsätzlich jeder – mit etwas Disziplin und Engagement von täglich ca. 10 bis 15 Minuten dauert das Training nur einige Wochen, bis sich Stille oder mehr Stille im Inneren eines Menschen einstellt.
Aber: «Wie kann man sich den Zustand dieser Stille vorstellen?» Dies werde ich oftmals gefragt. Meine Antwort darauf ist jedes Mal: «Das ist schwierig zu sagen.» Entspannt, friedvoll, zufrieden, kraftvoll, klar, energiegeladen, glücklich, dankbar – das alles sind Wörter, die den Zustand vielleicht am nächsten kommen.
Stille aus der Perspektive einer Begleitperson
Für mich als Begleitperson in den Funktionen als Mentor, Coach, Berater und Trainer verfolge ich Stille als einen zentralen Fokus in meinen Settings. Aus meiner persönlichen Erfahrung und der Arbeit als Autogener Trainer versuche ich Menschen zu diesem Zustand von (mehr) innerer Stille anzuleiten, der über das Autogene Training erreicht werden kann.
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Quellenangaben::
– https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/hirnzellen
– Kaplan R, Kaplan S : A Psychology Perspective, Campridge University Press, 1989
– Hobmair: Psychologie, Bildungsverlag EINS, 2017
– J.H. Schultz: Das autogene Training. Versuch einer klinischen-praktischen Darstellung. 19. unveränderte Auflage. Thieme, Leipzig, 1991
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Der Autor
Name: Alexander Pjorin Jenny
Beruf: Betrieblicher Mentor, Dipl. Autogener Trainer
Website: mental4you.ch
Motto: «Leben im Hier & Jetzt»
Ausbildner in: Diplom Autogenes Training
Als Betrieblicher Mentor, Coach, Trainer, Betriebswirtschafter und Burnout-Berater unterstützt Alexander Pjorin Jenny Kunden:innen im beruflichen, wie auch privaten Umfeld. Dabei begegnen ihm sehr viele Menschen, welche kleine und grosse Herausforderungen im Bereich der Disziplin haben. Bei seinen Begleitungen verfolgt er einen ganzheitlichen Ansatz. Er ist aus eigener Erfahrung und unzähligen Begleitungen zum Thema Disziplin davon überzeugt, dass für einen nachhaltigen Erfolg bei einem Menschen verschiedene Ebenen einbezogen werden müssen. Er spricht dabei von der kognitiven, der emotionalen und der physischen Ebene eines Menschen. Der Fokus seiner Arbeit liegt bei der Verbindung aller drei Ebenen, also dem Denken, den Emotionen und dem physischen Körper. Nur so kann nachhaltig eine Veränderung, beziehungsweise eine Heilung eintreten. Sein Ansatz ist sehr praxisorientiert und einfach in das Alltagsleben integrierbar.