In meinen Begleitungen treffe ich immer mehr Menschen an, die sich kraftlos und erschöpft fühlen. Es sind interessanterweise nicht nur gestresste Führungskräfte, sondern auch Eltern, Schüler, junge Erwachsene, Angestellte, Lehrkräfte, Ärzte und Kleinunternehmer. Das Gefühl der Erschöpfung zieht sich quer durch unsere Gesellschaft. Wir Menschen stehen privat, in der Schule oder im Beruf immer wieder vor grossen Herausforderungen. Neue Trends und Veränderungen können leicht überfordern, lösen Ängste aus, können bedrohen, greifen die Kraftreserven an. Aus „machbar“ wird plötzlich dauerhaft „gefühlte“ Überforderung.

Daniele, 50-jährig, leitet seit zwanzig Jahren ein mittelständiges Unternehmen, dem es zum Glück wirtschaftlich recht gut geht. Aber das Wissen, dass seine 80 Mitarbeiter:innen jeden Monat ihr Gehalt bekommen möchten und dass deren Familien davon abhängig sind, sorgt allerdings für eine latente Dauerunruhe.

Seit Wochen hat er grosse Probleme mit dem Einschlafen. Das Gedankenkarussell dreht und dreht sich, der Geist kommt einfach nicht zur Ruhe. Manchmal schläft er zwar gut ein, aber er wacht mitten in der Nacht auf, viel zu früh. Dann schaut er sich Serien auf Netflix an oder erledigt irgendwelche Büroarbeiten. An ein Einschlafen ist nicht mehr zu denken. Daniele und auch sein Umfeld machen sich Sorgen über seine Gesundheit.

Mit diesem Blog will ich Bewusstsein schaffen, dass wir dem Stress nicht vollständig ausgeliefert sind. So wie es Wege in ein mögliches Burnout gibt, gibt es auch zahlreiche Wege, sich vor einem Burnout zu schützen.

Stress – Fluch oder Segen?

Kommt darauf an…

Stress ist eigentlich eine geniale, evolutionär vererbte Überlebensstrategie unseres Körpers, welcher auf Reize mit einer Anpassung reagiert. Es werden Stresshormone ausgeschüttet und innert kürzester Zeit versorgt uns der Organismus mit einer grossen Extraportion Energie, was uns leistungsfähiger macht.

Standen in der Steinzeit unsere Vorfahren etwa einem wilden Tier gegenüber, versetzten die Stresshormone  den Körper in Alarmbereitschaft. Heute ist es weniger der Säbelzahntiger, der uns in Alarmbereitschaft versetzt, sondern z.B. die Rede vor einem grossen Publikum, der Termin mit einem wichtigen Kunden oder der latente Konflikt mit dem Vorgesetzten.

Akuter und kurzfristiger Stress ist gesundheitlich kein Problem. Dazu ist unser Körper sogar geradezu gemacht. Aber das perfide ist, es ist vielfach ein schleichender Prozess von akutem Stress zu chronischem Stress bis zu einem Burnout oder einer psychischen Erkrankung. Langfristiger Stress macht krank. Deshalb muss man sehr achtsam sein, um nicht in diese Stressfalle zu geraten.

Was ist Achtsamkeit?

Für mich bedeutet Achtsamkeit auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein – bewusst im gegenwärtigen Augenblick, ohne zu urteilen. Gerne bezeichne ich diesen Zustand auch als „Nicht-Tun“ oder „Nur-Sein“.
Und um genau dies geht es im Achtsamkeitstraining. Wir lenken die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf den Atem, den Körper, die Gefühle oder stellen uns bestimmte Bilder vor und geben unserem Geist so die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen. Kommt unser Geist zur Ruhe, dann hat dies automatisch auch einen positiven und beruhigenden Einfluss auf unsere Gefühle und auf unser Körperempfinden. Wir können so Stress abbauen und uns entspannen, kommen ganzheitlich zur Ruhe.

Das autogene Training nach J.H. Schultz:

Autogenes Training bedeutet aus dem  „Selbst“ (griechisch = autos) entstehendes (griechisch = genos) „Üben“ (Prof. J.H. Schultz, 2016, Autogenes Training, S.12).

Das heisst mithilfe des Autogenen Trainings kann jeder durch sich selbst – also unabhängig von äusserer Leitung – schnell und zuverlässig in eine gesunde Ruhe kommen und so seine Gesundheit erstaunlich tiefgreifend beeinflussen.  Dieses wohl bekannteste Entspannungsverfahren wurde in den 1920er Jahren durch Professor Dr. med. J.H. Schultz entwickelt. Es handelt sich dabei um eine sehr einfache und höchstwirksame Methode, frei von irgendwelchem spirituellen oder esoterischem Hintergrund. Die Methode basiert auf Autosuggestion. Mit einfachen Sätzen (Formeln) bringt sich die Person in einen Zustand der Tiefenentspannung – die Methode wird auch als Selbsthypnose bezeichnet. Es ist heute medizinisch und wissenschaftlich anerkannt, dass autogenes Training u.a. zum Stressabbau hilft.

Das MBSR-Programm nach Jon Kabat-Zinn:

Prof. Jon Kabat-Zinn ist ein weltweit angesehener Meditationslehrer und Gründer der Stress Reduction Clinic in Massachusetts. Ihm ist es als Erstes gelungen, die Achtsamkeitspraxis systematisch in die medizinische Betreuung zu integrieren (Jon Kabat-Zinn, 2019, im Alltag Ruhe finden, S.1).

Seine Methode ist heute wie damals nicht neu, er lieferte jedoch die wissenschaftlichen und medizinischen Nachweise für die Wirksamkeit des Achtsamkeitstrainings. Dies vor allem auch im Bereich der Stressregulation und Burnout-Prophylaxe. Es gibt verschiedene Wege Achtsamkeit zu praktizieren. Im MBSR-Programm werden unterschiedliche formale Meditationen gelehrt, die allesamt Formen der Achtsamkeitsmeditation darstellen. Dies sind: Body-Scan, Sitzmeditation und achtsames Yoga.

Achtsamkeitsmethoden als wichtige Ressource in der Stressregulation?

Diese Frage kann ich nun gegen Ende meines Blogs mit einem klaren JA! beantworten. Achtsamkeitsmethoden sind verblüffend wirksame und wissenschaftlich bestätigte Schutzschilde gegen Stress, Hektik und Überforderung und fördern die Gesundheit. Es sind Türöffner zu Ressourcen wie Ruhe, Entspannung, Gelassenheit, Energie, Konzentration, Selbstwirksamkeit, Motivation, Wille und Kreativität – Ressourcen, auf die wir Menschen, in herausfordernden Situationen, im Stress, zurückgreifen können.

Mit einem Augenzwinkern möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass „echli meditiere und echli gsund schnuufe“ in der Stressregulation natürlich nicht ausreichen.  Ein vertieftes Auseinandersetzen mit der eigenen Stresslandkarte ist genau so zentral. Wo liegen meine Stressoren? Was ist mein persönlicher Anteil am Stress? Wie reagiere ich unter Stress? Nur wenn ich diese Fragen beantworten kann, können in einer Begleitung entsprechende Lösungen und Strategien erarbeitet werden.

Und jetzt zum Schluss hast Du Dich mit Sicherheit gefragt, was ist denn jetzt überhaupt mit Daniele, dem Unternehmer?

Die Begleitungen haben ihn sichtlich aufgewühlt, zum Nachdenken und zur Selbstreflexion angeregt. Er ist sich bewusst geworden, dass er so nicht weitermachen kann und eigentlich bereits alle Zutaten mitbringt, die es braucht, um an einem Burnout zu erkranken. Er überlegt sich ernsthaft, sein Unternehmen zu verkaufen. Beim nächstmöglichsten Zeitpunkt will er auch aus der Lokalpolitik aussteigen, will mehr Sport treiben und an seiner Fitness arbeiten. In Zukunft will er achtsamer mit sich selbst umgehen, sich mehr Sorge tragen, mehr Zeit für sich nehmen, besser auf seine Bedürfnisse achten und auf seinen Körper hören. Die Signale des Körpers will er von nun an ernst nehmen und nicht mehr ignorieren. Daniele ist aktiv dran, sein Leben neu zu organisieren und zu gestalten. Ein achtsameres Leben mit mehr Ruhe, Stille, Entspannung und Balance. Er steht seit ein paar Wochen am Morgen jeweils eine halbe Stunde früher auf, schaltet seine Meditations-App „Calm“ auf und nimmt sich genügend Zeit zum Meditieren.

Vor ein paar Wochen hat er mir eine Kurznachricht geschickt. Mit folgendem Zitat:

«Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.» – Indianisches Sprichwort

Er ist auf einem guten Weg.

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Der Autor

Michele Bergantino

Name: Michele Bergantino

Beruf: Betrieblicher Mentor, Dipl. Mental Coach, Dipl.  Autogener Trainer

Website: bergreich-coaching.ch

Motto: «Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft!»

Ausbildnerin: Diplom Autogenes Training

Nach jahrelanger Erfahrung als Kundenberater in der Finanzbranche, entschied er sich einen neuen Weg zu gehen und die Unternehmung BergReich-Coaching zu gründen. Er begleitet Menschen in ihren persönlichen Themen und dies bereitet ihm viel Freude. Coach zu sein ist für ihn nicht nur ein Beruf, sondern seine Berufung. Aus genügend eigenen Erfahrungen weiss er, dass das Leben aus einem Auf und Ab besteht und genau deshalb hat es ihn dazu bewegt diesen neuen Schritt zu wagen.