Von den Anfängen: Definition und Herkunft der Begriffe Stress und Resilienz
Ja, du hast richtig gelesen – diese beiden Begriffe sind ‘verwandt’, denn beide kommen ursprünglich aus dem Bereich der Technik und der Physik: «Stress» ist die Reaktion eines Materials, welches einer Anspannung, einem Druck oder einer Belastung ausgesetzt wird. Der österreichische Mediziner und Biochemiker Hans SELYE (1907 – 1982), «Vater der Stressforschung», hat den Begriff übernommen und daraus ein mentales Konzept entwickelt. Er bezeichnete Stress als Reaktion von Lebewesen auf Belastung, Bedrohung oder Gefahr. Der Wortstamm «stringere» (lat.) bedeutet: in Spannung versetzen, Material unter Anspannung setzen.
Entsprechend dazu wurde als «Resilienz» die Eigenschaft und Fähigkeit von Materialien bezeichnet, die nach einer Stresseinwirkung (und der damit einhergehenden Verspannung, Verzerrung oder Verbiegung) wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehren. Deshalb wird der Begriff mit «Spannkraft» oder «Widerstandsfähigkeit» übersetzt. Bezogen auf den Menschen beschreibt Resilienz ganz allgemein die Fähigkeit von Personen oder Gemeinschaften, schwierige Lebenssituationen oder -phasen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen. Vom Wortstamm her bedeutet «resilire» (lat): zurückspringen, abprallen.
An dieser Stelle ein paar Zahlen zur Ausbreitung des Begriffes «Resilienz»: Wurden 2014 auf PubMed® (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov) noch circa 14’000 Einträge, sprich Artikel zu Resilienz gezählt, waren es 2024 schon 78’000, und bei meinem Zugriff am 10. März 2025 knapp 90’000 Einträge. Oft wird gar nicht umfassend verstanden oder genauer definiert, was mit Resilienz gemeint ist, und es kursieren auch unzählige ‘exotische’ Modelle und Konzepte. Deshalb möchte ich im Rahmen dieses Artikels Ursprünge und zentrale Aspekte des Resilienz-Konzeptes darstellen. Und ich werde eine mögliche Anwendung im Coaching aufzeigen, nämlich das Formulieren von Glaubensätzen in Bezug auf Resilienz – auf die eigene Resilienz als Coach, oder auf die Resilienz der Kundin / des Kunden.
Der Grundansatz
Resilienz bedeutet Widerstandskraft, also die Fähigkeit, sich aus jeder beliebigen Lage durch den Rückgriff auf eigene Ressourcen wieder aufzurichten. Resilienz wird als umfassende Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten zusammensetzt. Diese Fähigkeiten sind für Alltagssituationen, für Entwicklungsaufgaben sowie in Krisensituationen relevant.
Resilienz umfasst einerseits Persönlichkeitseigenschaften (sog. „Traits“) und andererseits Kompetenzen sowie veränderbare innere Zustände („States“) von Denk- und Verhaltensmustern, die präventiv und insbesondere in herausfordernden, stressigen Situationen für die Stabilisierung, Gesunderhaltung und Produktivität von Menschen hilfreich sind. Diese Denk- und Verhaltensmuster lassen sich u.a. im Coaching bearbeiten und fördern.
In der Literatur werden je nach Autoren zwischen sieben und elf verschiedene Elemente beschrieben. Als gemeinsamer Nenner finden sich die im Folgenden kurz erklärten 7 Schlüssel oder Säulen der Resilienz.
Die 7 Säulen der Resilienz
AKZEPTANZ ENTWICKELN
Hier geht es darum, ja zu sagen und auch Entscheidungen und Veränderungen, die man selbst anders getroffen hätte, zu akzeptieren. Hilfreich sind hier Strategien zum Loslassen-Können, die Menschen aus bisherigen Veränderungs- oder Lebenserfahrungen ableiten können, sowie die Fokussierung auf eine Veränderung der eigenen Innenwelt, sodass Angst reduziert und zunehmend wieder Freude und Offenheit gegenüber Neuem, Unbekanntem oder Ungewolltem empfunden werden kann.
OPTIMISMUS KULTIVIEREN
Gerade wenn es im Leben oder im Beruf nicht so gut läuft, oder wenn sich krisenhafte Stimmung breitmacht, brauchen wir Menschen Kontakt zu Optimismus und Zuversicht. Katastrophendenken, pessimistische innere Stimmen oder ‚innere Kritiker‘ können hier sehr blockierend wirken. Durch die Lenkung und Fokussierung auf (mentale) Stärken können Handlungsmöglichkeiten erschlossen werden. Mit dem Blick auf angenehme Momente und Begebenheiten können wir die Gefühlslage positiv beeinflussen, die eigene und die unseres Gegenübers.
SELBSTWIRKSAMKEIT STÄRKEN
In Stresssituationen klagen Betroffene über zunehmenden Druck, ausweglose Situationen und fehlenden Überblick. Um selbstwirksam zu sein und zu bleiben, brauchen Menschen manchmal auch den Mut, Distanz zu schaffen und sich eine (mentale) Auszeit zu nehmen. Aus der Distanz können sie leichter ihr Selbstvertrauen wieder stärken und überlegen, wo und wie sie wieder in wirksames Handeln in Richtung ihres Ziels (oder in Richtung der Beseitigung von Hindernissen) kommen können.
VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN
Was sehr einfach klingt, hat in Krisen auch viel damit zu tun, Fehler willkommen zu heissen, Fehler einzugestehen, sie als Lernchancen für sich und andere zu sehen. Misserfolge und Scheitern aushalten zu können, gehört mit zur Resilienz. Zudem sollte konstruktives Feedback im Privaten wie im Beruflichen selbstverständlich sein, denn es hilft gegenseitig und voneinander zu lernen, gerade in belastenden und belasteten Situationen.
NETZWERKORIENTIERUNG
Ergänzend zum Feedback hilft der Austausch mit anderen und die Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven dabei, Einbahnstrassen-Denken oder blinde Flecken zu vermeiden. Hier helfen kollegiale Beratung, Intervision, private wie geschäftliche Kontakte zu Unterstützern, Mentoren und Ratgebern. Neuere Forschungen belegen zudem die Bedeutsamkeit tragfähiger sozialer Netzwerke, in denen Gefühle von Zugehörigkeit und Hilfsbereitschaft, von emotionaler Bindung und Vertrauen vorherrschen.
LÖSUNGSORIENTIERUNG
Lösungsorientierung bedeutet, das Denken und Handeln konstruktiv auf anzustrebende Ziele und Lösungen auszurichten. Ressourcen wie Neugier, Offenheit und Kreativität sind hier gefragt, um Möglichkeitsräume zu eröffnen und zu kreieren. Hier darf geträumt und in Visionen gedacht werden.
ZUKUNFTSORIENTIERUNG
Aus den Aspekten der Lösungs- und der Zielorientierung ergibt sich die Zukunftsorientierung. Wenn Ziele klar formuliert und definiert werden, stehen die Koordinaten der Reise fest und der Blick richtet sich nach vorne. Neben der Zielklarheit braucht es Offenheit für den Weg und den Prozess hin zum Ziel. Das schliesst die Haltung mit ein, dass jeder Weg auch ein Experiment mit Rückschlägen und Umwegen sein kann, dass Chancen und Risiken nah beieinander liegen können. Risiken und Ungewissheit aushalten zu können, ist ein wesentlicher Aspekt von resilienter Zukunftsorientierung.
Eine Anwendung im Coaching zur Stärkung von Resilienz:
Resilienz und Glaubenssätze
Hier kannst Du Deine aktuelle Resilienzstärke prüfen, oder die Deines Klienten. Bewerte alle Sätze auf einer Glaubwürdigkeitsskala von 1 – 10 und entscheide anschliessend, welchen Satz Du stärken möchtest (analog: lass Deinen Coachée bewerten und entscheiden).
Akzeptanz
- Ich kann die Realität und das, was geschieht, annehmen
- Ich kann gut mit Überraschungen umgehen
Optimismus
- Ich vertraue darauf, dass alles besser werden kann
- Ich kann meine Zuversicht behalten oder wiederfinden
Selbstwirksamkeit
- Ich bin davon überzeugt, dass ich Einfluss nehmen kann
- Ich kann aktiv werden und anstehende Aufgaben anpacken
Verantwortung
- Ich weiss, welche Verantwortung ich habe und welche Verantwortung andere haben
- Ich kann Verantwortung abgeben
Netzwerk-Orientierung
- Ich habe Menschen, denen ich vertrauen kann
- Ich traue mir zu, andere um Hilfe zu bitten
Lösungsorientierung
- Ich kann Lösungen finden
- Kleine Schritte sind schon ein Erfolg
Zukunftsorientierung
- Ich kann gut für mich sorgen
- Ich kann meine Zukunft planen
Quellenangaben
– Prof. Dr. Jutta Heller: Lernen, an Herausforderungen zu wachsen – Resilienztraining für Führungskräfte. In: Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 12/2013, Berlin 2013, Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V.
– Ulrich Siegrist, Martin Luitjens: RESILIENZ. Aus der Reihe: 30 Minuten, Offenbach 2011, GABAL Verlag GmbH, ISBN 978-3-86936-263-2
– Stress
– Resilienz
– PubMed®
– Dr. Jutta Heller
Der Autor
Name: Roger Marquardt
Beruf: Selbständiger Coach, Betrieblicher Mentor, Begleitperson, Lehrtrainer, Therapeut
Website: roger-marquardt.com
Motto: «Erkenne Dich selbst. Werde der Du bist.»
Ausbildner in: Zertifikat Coach, Diplom Mental Coach, Prüfungsvorbereitung Eidg. FA Betriebliche:r Mentor:in
Seit 2005 ist Roger mit Leidenschaft und Begeisterung Emotions-Coach und hat sich auf die Anwendung moderner, integrativer und effektiver Kurzzeit-Methoden im Coaching spezialisiert. Vor seiner Karriere als selbständiger Coach, Berater und Trainer hat er erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik absolviert. Es folgten verschiedene Fortbildungen in Methoden der Persönlichkeitsentwicklung. Roger ist mehrfach zertifizierter Ausbildner, Coach und Lehrtrainer.