Ein einfaches Alltagsbeispiel war Anlass genug, einmal mehr ein Thema aufzugreifen, das uns alle betrifft: Langeweile! Die Situation war denkbar einfach. Kind 1 kommt zu mir und klagt: „Mir ist langweilig. Ich weiss nicht, was ich spielen soll.“ Da ich selbst etwas im Stress war und gleichzeitig an einem Dossier arbeiten musste, konnte ich ihren Aussagen nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken. Früher hatte ich gelesen, dass man auf das „Mir ist langweilig“ mindestens 5 Minuten verstreichen lassen soll, bevor man überhaupt darauf eingeht. Gelesen, getan! Ich liess 5 Minuten „Gejammer“ über mich ergehen und versuchte, nicht gross darauf einzugehen. Als sie merkte, dass sie von mir keine „Spielideen“ bekommen würde, war sie plötzlich verschwunden.
Erst einige Minuten später bemerkte ich, dass es ungewöhnlich ruhig war und Kind 1 scheinbar eine Beschäftigung gefunden hatte. Ich liess wiederum einige Minuten verstreichen, ehe ich nachschauen ging, um zu sehen, worauf die Wahl gefallen war. Und siehe da: Sie hörte entspannte Musik, hatte sich ein grosses Papier bereitgelegt und flüssige Farbe hingestellt. Sie malte. Nein, sie drückte sich auf diesem Papier regelrecht aus. Sie dokumentierte Gefühle, Gedanken, Ideen…
Nach etwa 40 Minuten kam sie wieder zu mir und erzählte mir von ihrem Tun und der tollen Idee, die ihr nun gekommen war. Sie wollte Dekoration für ihr Zimmer basteln. Eine Girlande. Sie hatte Lust auf gute Laune, knallige Farben und sommerliche Vibes in ihrem Zimmer. Ja, und so lief das Projekt dann bis zum Abend – etwa 8 Stunden. Aus Langeweile wurde ein super inspirierender und kreativer Tag – ganz allein, ganz ohne Reize von anderen, von Medien oder von mir. Hurra, ich habe es geschafft! Durch Nichtstun habe ich eine tolle Erfahrung ermöglicht.
Langeweile: Der geheime Freund der Kreativität
So einfach kann es sein: Ein Moment der Langeweile verwandelt sich in eine kreative Explosion. Wer hätte gedacht, dass ein wenig Nichtstun so viel bewirken kann? Nach diesem erfolgreichen Tag wollte ich natürlich mehr darüber wissen und habe mich auf die Suche nach Informationen und neurobiologischen Aspekten gemacht.
Was ist Langeweile eigentlich? Gibt es eine Definition dazu?
Langeweile ist ein aversiver, universeller affektiver Zustand, der durch einen Mangel an Stimulation charakterisiert ist, wobei die Person sich nach Beschäftigung sehnt, aber Schwierigkeiten hat, sich in ihrer aktuellen Situation zu engagieren oder eine zufriedenstellende Aktivität zu finden. Dieser Zustand führt oft zu einem Gefühl der inneren Leere und Unzufriedenheit. In der Forschungsliteratur wird Langeweile oft im Kontext ihrer Auswirkungen auf das Verhalten, die kognitive Leistung und das emotionale Wohlbefinden untersucht. Sie kann sowohl kurzfristige als auch langfristige psychologische und physiologische Effekte haben und spielt eine Rolle bei der Motivation, Kreativität und der Entwicklung von Problemlösungsfähigkeiten (vgl. Eastwood, Frischen, Fenske, Smilek, 2012).
Bereits aus dieser Definition kann ich das Verhalten von Kind 1 einordnen. Somit bringt Langeweile auch emotionale Empfindungen mit sich, mit denen ein Kind lernen darf umzugehen. Entwicklungspsychologisch gesehen ist es auch ein Signal dafür, dass das Kind Selbstregulation lernen darf und dafür Kreativität einsetzen kann. Außerdem wird im gleichen Atemzug die intrinsische Motivation genannt. Es ist wichtig, dass Kinder aus diesem „leeren Zustand“ neue Interessen finden und somit eigene Erlebnisse erschaffen. Intrinsische Motivation wird also nicht entstehen, wenn Bezugspersonen von aussen verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Im Gegenteil, die extrinsische Motivation wird dafür sorgen, dass intrinsisch sicherlich nichts passiert. Schade. Eine Fähigkeit, die im fortlaufenden Alter sehr zentral und wichtig ist. Wir legen also den Grundstein in jungen Jahren, wenn es darum geht, sich selbst Ziele zu setzen oder neue Ideen zu verfolgen.
Doch was passiert neurobiologisch in Zeiten der Langeweile?
Studien zeigen, dass Langeweile eine verringerte Aktivität im Gehirn mit sich bringt, insbesondere im präfrontalen Kortex. Gleichzeitig ist die Aktivität im DMN (Default Mode Network), dem Netzwerk im Gehirn, das aktiv ist, wenn man sich in Ruhe befindet, erhöht. Ist das DMN aktiv, denkt man aktiv nach und wird somit angeregt, kreative Gedanken zuzulassen und vor allem Selbstreflexionsprozesse zu starten (vgl. Raichle, MacLeod, Snyder et al., 2001, S. 676-682). Übersetzt in unseren Alltag ist es also unumgänglich, immer wieder in einen aktiven Ruhezustand zu kommen, damit Regulationsprozesse möglich sind. Emotionale Regulation, die im Alltag von Kindern und Jugendlichen häufig ein Thema ist, ist also vor allem dann möglich, wenn das DMN in unserem Gehirn aktiv ist. Einmal mehr ist das Wechselspiel zwischen An- und Entspannung ein entscheidender Entwicklungsfaktor.
In diesem Artikel wird auch beschrieben, dass Langeweile drei entscheidende Auswirkungen hat:
Kreativität und Problemlösung wird angeregt: Kreative Problemlösungen sind heutzutage gefragter denn je.
Selbstregulations- und Planungsprozesse werden trainiert: In der Langeweile passieren interne Planungsprozesse, die das Kind selbstständig führt. Dies ermöglicht weiterführend, dass Emotionen mit eingeplant werden und die Frustrationstoleranz steigt. Wenn ich selbst etwas plane, bin ich natürlich viel entspannter.
Kinder brauchen Zeit, um mit ihren Emotionen umzugehen: Nur so haben sie die Möglichkeit, ihre Emotionen kennenzulernen und Strategien im Umgang mit ihnen zu entwickeln. Vor allem unangenehme Gefühle dürfen im Alltag unserer Kinder wieder mehr Platz haben.
Nun stellt sich natürlich die Frage, was der Kinder & Jugend Coach in diesem Prozess für eine Aufgabe übernehmen kann
Ein Kinder & Jugend Coach kann zum Thema Langeweile wertvolle Perspektiven und praxisorientierte Ansätze beitragen. Einerseits soll es helfen, dass Eltern Langeweile positiv betrachten und nutzen können, andererseits sollen sich daraus für das Kind Entwicklungs- und Wachstumschancen ergeben.
- Erklärung der Bedeutung von Langeweile: Kommt ein Kind mit der Thematik Emotionsregulation, lohnt sich die Frage nach dem Tagesablauf und dem Identifizieren von „leerem Raum“. Wie viel Zeit hat das Kind, in der es Langeweile empfinden könnte?
- Entwicklungspsychologische Perspektiven: Diese sind wichtig, wenn es darum geht, dass das Kind Interessen identifiziert und sich selbst und seine Bedürfnisse wahrnimmt.
- Kreative Lösungen fördern: Ein Coach kann unterstützen, kreative Lösungen und einen aktiven Umgang mit Langeweile zu trainieren. Hier könnte auch der Bereich „Problem-Solving-Skills“ integriert werden. Probleme identifizieren, um sie danach mit neuen Möglichkeiten zu lösen.
- Förderung der Selbstständigkeit: Der Coach fördert die Selbstständigkeit und das Selbstvertrauen des Kindes, indem er ihm hilft, selbstständig eine Beschäftigung zu finden. Dies gibt dem Kind die Sicherheit, dass es die Situation bewältigen kann.
- Ziele setzen – Ziele erreichen: Der Coach hilft, dass Kinder sich orientieren und Zielzustände definieren. Erfolgserlebnisse schaffen Selbstvertrauen, wenn das Kind merkt, dass es selbst gesteckte Ziele erreicht.
- Emotionen reflektieren: Kinder lernen, ihre Emotionen zu reflektieren, sich selbst besser kennenzulernen und neue Herangehensweisen im Umgang mit unangenehmen Gefühlszuständen zu trainieren. Dies umfasst auch den achtsamen Umgang mit eigenen Bedürfnissen und die Ausrichtung der inneren Stimme.
- Rolle der Eltern: Eltern dürfen den Prozess im Alltag unterstützen und Ressourcen und Möglichkeiten bereitstellen. Sie müssen aber auch aufgeklärt werden und die Bedeutung und der Umgang mit Langeweile nähergebracht werden.
Wir sehen also, dass „Langeweile“ viel mehr als langweilig ist. Im Gegenteil, Langeweile ist ein hochkomplexer Vorgang, der ein richtiger Entwicklungsbeschleuniger sein kann. Langeweile hat somit zahlreiche positive Aspekte im Gepäck, die uns in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern immer wieder begegnen.
Ein Hoch auf langweilige Momente!
Quellenangaben:
– Eastwood, J. D., Frischen, A., Fenske, M. J., & Smilek, D. (2012). The Unengaged Mind: Defining Boredom in Terms of Attention. Perspectives on Psychological Science, 7(5), 482–495. doi:10.1177/1745691612456044
– Raichle, M. E., MacLeod, A. M., Snyder, A. Z., Powers, W. J., Gusnard,
– Bench, S. W., & Lench, H. C. (2013). On the Function of Boredom. Behavioral Sciences
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Die Autorin
Name: Sabrina Erni
Beruf: Pädagogin – Kinder & Jugend Coach
Website: ipc-akademie.com
Motto: «Stärken entdecken, Talente entfachen. Stärken stärken, rückt unsere Schwächen in den Hintergrund!»
Ausbildner in: Zertifikat Coach, Diplom Kinder & Jugend Coach
Entdecken Sie Sabrinas Leidenschaft: Die optimale Begleitung angehender Coachs, Berater:innen und Trainer:innen auf ihrem Weg zur vollen Entfaltung ihres Potenzials. Mit langjähriger Erfahrung und einem Herz für ganzheitliche Entwicklung sorgt Sabrina dafür, dass Fachwissen nicht nur erlernt, sondern auch in die Praxis umgesetzt wird. Bei der IPC Akademie setzt sie auf zeitgemässe Inhalte und legt Wert auf die Transformation von Teilnehmer:innen zu kompetenten Begleitpersonen. Erfahren Sie, wie Sie Ihre Ressourcen nutzen und Ihre Ziele erreichen können.