«Warum habe ich bloss so eine Angst davor, einen Vortrag vor anderen zu halten?» «Wie kann ich die schlechte Laune meines Chefs ertragen, ohne dabei drauf zu gehen?» «Was muss ich tun, um auch mal offen für meine Überzeugungen einzustehen?»

Mit diesen oder anderen Themen kommen Menschen ins Coaching. Es besteht meist der Wunsch, etwas an sich selbst zu verändern, um die Herausforderungen des Lebens – seien sie gewollt oder ungewollt – zu bewältigen.

Sich selbst zu verändern, d.h. andere Verhaltensweisen zu entwickeln, bedeutet, auch seine Persönlichkeit in gewissem Masse zu verändern. Denn Verhaltensweisen sind ein Resultat der Persönlichkeit.

Was ist Persönlichkeit und wie entsteht sie?

Die Wissenschaft hat sich in der Vergangenheit schwer damit getan, Persönlichkeit bzw. deren Entstehung zu erklären. In der Antike entstand die von Hippokrates und Galenos entwickelte Einteilung von Persönlichkeiten in Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker und Sanguiniker. Der heute oft und breit angewendete «Big Five» Persönlichkeitstest beurteilt die Persönlichkeit eines Individuums entlang der 5 Dimensionen Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus, Offenheit und Verträglichkeit. Jedoch können diese und andere in der Alltagspsychologie verankerten Methoden keine Erklärungen für die Entstehung und effektive Veränderbarkeit von Persönlichkeitseigenschaften geben.

Auch heute noch ringt die Wissenschaft um Erklärungen. Neueste Hirnforschungen bestätigen nun die lang gehegte Vermutung, dass Persönlichkeit eine Kombination aus Genetik und Erziehung sowie selbst gemachten Erfahrungen ist. So beschreibt das von Gerhard Roth entwickelte Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit vier anatomische und funktionale Gehirnebenen, die bis zum ca. 25. Lebensjahr entstehen:

  1. Untere limbische Ebene: auf dieser – teilweise vorgeburtlich geprägten – Ebene laufen Prozesse der Lebenserhaltung und Erfüllung körperlicher Bedürfnisse ab. Hier ist z.B. auch das Temperament angesiedelt. Eigenschaften, die sich auf dieser sehr frühkindlichen Ebene bilden, laufen völlig unbewusst ab und sind lebenslang unveränderbar.
  2. Mittlere limbische Ebene: diese enthält die Eigenschaften der ersten Lebensjahre, primär geprägt durch die Interaktion mit der engsten Bezugsperson. Erfahrungen, die die Entwicklung dieser Hirnebene prägen, werden zwar erlebt, können aber nicht abgespeichert werden, da die Hirnteile, die der Mensch für die Erinnerungsfähigkeit benötigt, noch nicht entwickelt sind.

Diese beiden unteren Ebenen zusammen beschreiben das unbewusste Selbst.

  1. Obere limbische Ebene (auch als Individuell-Soziales Ich bezeichnet): sie entsteht während der Kinder- und Jugendjahre durch die soziale Interaktion mit anderen. Hier entwickeln sich Eigenschaften wie Geduld, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, aber auch non-verbale Kommunikation, z.B. Gestik, Mimik und Körperhaltung.
  2. Kognitiv-sprachliche Ebene (auch als Kognitiv-Kommunikatives Ich bezeichnet): Erst auf dieser letzten Ebene findet bewusstes Wahrnehmen sowie Denken, Erinnern, Vorstellen, Handlungsplanung und Kommunikation statt.

Erst auf der kognitiv-sprachlichen Ebene wird der Mensch sich selbst bewusst – und erst Mitte 20 ist der Entstehungsprozess der Persönlichkeit im Hirn weitgehend abgeschlossen. Erst dann haben sich alle Charaktereigenschaften manifestiert, ist Stressverarbeitung definierbar, Selbstkontrolle, Empathie, Motivation und Impulskontrolle ausgeprägt, und Risikofreudigkeit bekannt.

Die 4 Ebenen beeinflussen sich gegenseitig in hohem Masse, wobei die unteren Ebenen einen grossen Einfluss auf die höheren Ebenen haben. In der Gegenrichtung jedoch besteht wenig Einfluss von oben nach unten. Persönlichkeit entsteht also „von unten nach oben“ durch genetische und vorgeburtliche Prädisposition, frühkindliche Prägung, die individuelle Umwelt und selbst-gemachte Erfahrungen.

Ist Persönlichkeit änderbar?

Die Antwort ist, nicht überraschend, ziemlich kompliziert. Je nachdem auf welcher Ebene eine Charaktereigenschaft angesiedelt ist bzw. wann und wie sie erworben wurde, ist sie mehr oder weniger veränderbar. Temperament als ein gutes Beispiel, wird auf der unteren limbischen Ebene angelegt und gilt als wenig veränderbar, beeinflusst jedoch die später angelegten oberen Ebenen. Ebenso sind Charaktereigenschaften, die ihren Ursprung im frühkindlichen Alter haben, später nur sehr schwer und nur mit Hilfe von therapeutischen Massnahmen zu verändern. Dabei werden zum Beispiel Handlungsstrategien entwickelt (Bsp. Straftäter), um Temperamentausbrüche unter Kontrolle zu halten oder mit Phobien (Bsp. Platzangst) umgehen zu lernen. Sie ändern dann nichts oder nur wenig an der Persönlichkeit selbst, ermöglichen es der Person aber, mit bestimmten Eigenschaften besser klarzukommen.

Veränderungen auf den Ebenen oberhalb des Unbewussten Selbst, sind hingegen eher möglich. Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Geduld oder Selbstwirksamkeit können in gewissem Rahmen auch später noch ausgeprägt werden. Hierbei hat das persönliche Umfeld einen grossen Einfluss. Je jünger man ist, desto einfacher ist eine Veränderung, denn sie benötigt viel und ausdauernde Hirnleistung, welche mit zunehmendem Alter abnimmt. Zwingende Bedingung dabei ist in jedem Fall, dass die Person selbst den intrinsischen Wunsch, also grosse Motivation, zur Veränderung hat.

Empfehlungen und Ratschläge, die ein Berater, Arzt, Freund oder Arbeitskollege erteilt, erreichen nur die kognitive-sprachliche Ebene. Das Ziel, weniger Süsses zu essen, verdampft beim Anblick der nächsten Crémeschnitte. Deren Vorteil ist, dass sie eine der limbischen – und damit tieferen – Persönlichkeitsebenen erreicht. Ebenso geht es mit der Erkenntnis, dass gegen den Klimawandel persönlicher Verzicht notwendig ist. Bedeutet das aber, auf das heiss geliebte Auto zu verzichten, das der freiheitsliebenden Person genau diese Freiheit gibt, so verpuffen alle guten Intentionen.

Ist Persönlichkeit also änderbar? Die Antwort ist ein „Ja“ mit Bedingungen. Diese Bedingungen sind auf den emotionalen Ebenen zu finden. Es muss eine intrinsische Motivation vorliegen, eine Veränderung herbeizuführen. Das kann sein:

  • Die Freude am Gelingen der Veränderung
  • Selbstbestätigung zu bekommen
  • Das Gefühl, eigene Fähigkeiten und Wünsche zu verwirklichen
  • Besser zu sein als andere
  • Die Überzeugung, mit der Veränderung einer wichtigen Sache beizutragen

Oft ist es sehr schwierig, für sich selbst herauszufinden, ob für eine Veränderung, d.h. die Erreichung eines Ziels, eine echte intrinsische Motivation vorliegt – oder ob das Ziel auf der rein kognitiven Ebene liegt, ohne positive Gefühle zu generieren. Ein guter Coach kann in dieser Situation wertvolle Dienste leisten sowie einen Veränderungsprozess unterstützend und motivierend begleiten.

Quellenangaben:
– Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern [Buch] / Verf. Roth, Gerhard – Stuttgart : Klett-Cotta Verlag, 2019
– Lifewired: The Inside Story of the Ever-Changing Brain [Buch] / Verf. Eagleman, David – Canongate Books Ltd, Edinburgh, 2020

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Der Autor

Christine Lang

Name: Christine Lang

Beruf: Betrieblicher Mentor, Coach, Dipl. Sport Mental Coach

Website: lustauferfolg.ch

Motto: «Persönlichkeit beginnt dort, wo du dich selbst kennenlernst»

Ausbildner in: Zertifikat Coach, Business Coach, SVEB-Zertifikat Praxisausbilder/in

Christine Lang ist in über 30 Jahren in kleinen, mittleren und grossen Unternehmen sowie internationalen Konzernen die Karriereleiter hochgestiegen. Als betriebliche Mentorin begleitet sie jetzt Menschen in ihren persönlichen und beruflichen Entwicklungen. Gleichzeitig ist sie Sportlerin auf internationalem Level und diplomierter Sport Mental Coach. Ihr Fokus liegt auf der praktischen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für bestmögliche Leistung in Beruf und Sport. Die Themen Leadership durch Selbstreflexion, Visualisierung, Lernen und Stressbewältigung sind nur einige der Themen, in denen sie Wissenschaft mit praktischer Anwendung und eigener, langjähriger Erfahrung kombiniert.