Und da war er wieder… dieser Mittwoch, an dem sich alles um die Kinder dreht. 1. Fahrt Mama Taxi um 08.15 auf den Bauernhof zur Spielgruppe. 2. Fahrt 08.45 zur Logopädie, weil die Lehrerin aus Kapazitätsgründen nicht mehr in den Kindergarten kommt. Fahrt Nr. 3 ist 45 Minuten später zum Abholen. Und meine Laune nimmt sichtlich ab, mein Stresspegel zu, weil ich gefühlte 100 Stunden bereits im Auto sass, meine Zeit für gefühlten „nonsens“ aufgewendet, stattdessen meine dringenden Aufgaben zu Hause erledigt zu haben. ABER der Morgen und der mittlerweile verhasste Mittwoch ist ja noch lange nicht vorüber.
Um 10.10 sitze ich dann zu Hause vor meinem wohl verdienten Latte Macchiato, bin so müde von der ganzen Fahrerei, Ausbalanciererei der verschiedenen Gefühlen der Kinder wie auch meinen eigenen. Aber ja, was fühle ich denn genau? Frust, weil ich ja so viel tue aber weder ein Fahrpreis bezahlt noch ein Merci über die Lippen der Kinder kommt geschweige denn ein „Mama, ich hab dich lieb für alles, was du tust.“ Ich fühle mich genervt, traurig, unverstanden, hilflos, überfordert, alleine gelassen mit meiner eigenen Situation die jeden Mittwoch wieder kommt. Versunken im Selbstmitleid und zwischendurch auf Social Media surfend, trinke ich meinen Kaffee. Mittlerweile ist 10.30 und der nächste Fahrdienst steht in 20 Minuten an. Genervt, dass ich meine Zeit nicht sinnvoller eingesetzt habe, setze ich mich noch kurz vor die to do‘s um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Kaum hingesetzt, mich in die Thematik reingedacht, läutet der Wecker, der mich an meinen nächsten Fahrdienst erinnert… Ja und am Mittwochnachmittag ist das Mama-Taxi nochmals mind. 4 x im Einsatz und die Laune wird nicht besser und die Gefühlsachterbahn geht weiter.
Das Resonanzprinzip nach Adorf lehrt uns, dass unsere Gedanken unsere Gefühle beeinflussen, unsere Gefühle unsere Handlungen und unsere Handlungen unsere Einstellung. Und als ich dies Mal an einem Mittwochabend realisierte, merkte ich, was alles überhaupt zu dieser Situation führte…
- Erwartungsdruck an die eigenen Kinder mit dem Gedanken weshalb sie nicht dankbar dafür sind
- Erwartungsdruck an meine eigene Leistungsfähigkeit weshalb ich meine to do‘s nicht erledigt kriege
- Die Ignoranz an meine so wichtige Rolle als Mama und ihren wertvollen Taxidienst
Ich ging dann ernsthaft in mich rein und fragte mich, wie mein Mittwoch zukünftig aussehen soll. Welche Gedanken ich haben möchte und wie ich mich dabei fühlen will.
Seither hat sich vieles in MIR geändert. Ich sage nicht, dass ich die Mittwoche nun liebe aber habe meine Strategien gefunden, so dass ich nicht länger meinen Gefühlen ausgeliefert und genervte Passagierin dieser Achterbahn bin.
Meine Learnings, die ich gerne teile:
- Ich kläre für mich, welche Erwartungen ich selbst ggü. mir an diesen Tagen habe bzgl. was neben dem Taxidienst wirklich alles erledigt sein müsste…
- Ich gestalte die Taxifahrten für meine Passagiere wie für mich bewusst. Mal höre ich in voller Lautstärke meinen Lieblingssong oder derjenige des Passagiers, mal telefoniere ich mit einer lieben Freundin, mal nutze ich diesen Raum, um bewusst ins Gespräch zu kommen, um ein Gefühl zu erhalten, wie es meinem Passagier wirklich geht.
Und auf einmal macht der Mittwoch total Sinn, ich habe Strategien, um meine Gefühle im Moment zu regulieren und Spass mit meinen Kindern zu haben, anstelle es als Laster anzusehen. Spannenderweise kamen so in letzter Zeit sogar Sätze wie „Danke Mama fürs Fahren“.
Der wissenschaftliche Blick: Emotionsregulation nach James J. Gross
Um meine persönlichen Erfahrungen in einen breiteren wissenschaftlichen Kontext zu stellen, möchte ich das Prozessmodell der Emotionsregulation von James J. Gross hier in diesem Artikel vorstellen. Dieses Modell bietet einen strukturierten Ansatz, um unsere Gefühle besser zu verstehen und zu steuern.
Gross unterscheidet fünf Hauptstrategien zur Gefühlsregulation:
Situationsauswahl: Hier geht es darum, Situationen zu wählen oder zu vermeiden, die bestimmte Gefühle auslösen. In meinem Fall könnte ich beispielsweise versuchen, einige Fahrdienste zu delegieren oder zu kombinieren.
Situationsmodifikation: Diese Strategie beinhaltet die aktive Veränderung einer Situation, um ihre emotionale Auswirkung zu beeinflussen. Ich könnte zum Beispiel die Fahrten angenehmer gestalten, indem ich Hörbücher oder Musik einplane.
Aufmerksamkeitslenkung: Hierbei lenken wir unseren Fokus gezielt auf bestimmte Aspekte einer Situation. Anstatt mich auf den Stress zu konzentrieren, könnte ich meine Aufmerksamkeit auf die wertvollen Momente mit meinen Kindern richten.
Kognitive Neubewertung: Diese Strategie beinhaltet die Umdeutung einer Situation, um ihre emotionale Bedeutung zu verändern. Ich habe dies unbewusst angewendet, als ich begann, die Fahrten als Gelegenheit für Gespräche und Verbindung zu sehen, anstatt als lästige Pflicht.
Reaktionsmodulation: Hier geht es darum, die physiologischen, erfahrungsbezogenen oder verhaltensbezogenen Reaktionen auf Emotionen zu beeinflussen. Tief Atmen oder positive Selbstgespräche während stressiger Momente könnten Beispiele dafür sein. (Happyoclock.de)
Interessanterweise lassen sich meine eigenen Strategien, die ich entwickelt habe, in dieses Modell einordnen. Meine bewusste Gestaltung der Taxifahrten entspricht der Situationsmodifikation und Aufmerksamkeitslenkung. Die Klärung meiner Erwartungen an mich selbst ist eine Form der kognitiven Neubewertung.
Das Verständnis dieses Modells kann uns helfen, unsere Emotionsregulationsstrategien zu diversifizieren und effektiver einzusetzen. Es zeigt auch, dass Emotionsregulation ein vielschichtiger Prozess ist, der auf verschiedenen Ebenen stattfinden kann.
Anwendung des Modells im Alltag:
Um dieses Modell in unserem Alltag anzuwenden, können wir uns folgende Fragen stellen:
- Welche Situationen lösen bei mir starke negative Emotionen aus? Kann ich einige davon vermeiden oder anders gestalten?
- Wie kann ich stressige Situationen so modifizieren, dass sie weniger belastend sind?
- Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit in herausfordernden Momenten? Kann ich meinen Fokus bewusst auf positivere Aspekte lenken?
- Wie interpretiere ich die Situation? Gibt es alternative Sichtweisen, die weniger Stress verursachen?
- Wie reagiere ich körperlich und verhaltensmäßig auf Stress? Welche Techniken kann ich anwenden, um diese Reaktionen zu regulieren?
Indem wir diese Fragen reflektieren und die verschiedenen Strategien bewusst einsetzen, können wir unsere Fähigkeit zur Emotionsregulation verbessern. Dies führt nicht nur zu einer besseren Bewältigung von Alltagsstress, sondern auch zu einem tieferen Verständnis unserer eigenen emotionalen Prozesse.
Letztendlich geht es bei der Emotionsregulation nicht darum, negative Gefühle vollständig zu eliminieren, sondern vielmehr darum, einen ausgewogenen und flexiblen Umgang mit unseren Emotionen zu entwickeln. Dies ermöglicht es uns, auch in herausfordernden Situationen wie meinem „Mama-Taxi-Mittwoch“ handlungsfähig und zufrieden zu bleiben.
Durch die bewusste Anwendung dieser Strategien und das Verständnis unserer emotionalen Prozesse können wir nicht nur unseren Alltag besser meistern, sondern auch positive Veränderungen in unserem Leben bewirken.
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Die Autorin
Name: Sindy Müller
Beruf: Mental Coach und Dozentin
Website: sindymueller.ch
Motto: «Wenn du keine Ausreden mehr hast, dann beginnt der Erfolg!»
Ausbildnerin: Zertifikat Coach, Diplom Mental Coach
Sindy Müller ist durch Erfahrungen vom mentalen Bereich im Sport fasziniert, welches Sie in ihren praxisnahen Unterricht einbaut.
Wenn Menschen ihre Kompetenzen aktiv durch den Besuch einer Aus- oder Weiterbildung weiterentwickeln wollen, fasziniert sie das. Da will sie auch einen Teil davon sein und ihr Wissen und die in der Praxis gemachten Erfahrungen weitergeben. Sindy Müllers Stärken sind der Umgang mit Menschen, die abwechslungsreiche Unterrichtsgestaltung sowie die praxisbezogene Wissensvermittlung. Nebst dem sie als Ausbildnerin tätig ist, unterstützt sie Sportler als Coach bei der Erreichung ihrer Ziele. Menschen zu begleiten und sie in ihrem Potential zu fördern macht Sindy Müller Spass. Zu sehen, wie Veränderungen aktiv mitgestaltet werden können, motiviert auch sie, stets am Ball zu bleiben und sich laufend weiterzubilden, um die Kunden bestmöglich zu unterstützen.