Um gleich ein paar Punkte vorwegzunehmen: dieser Artikel kann keine allgemeingültigen Aussagen machen und keine abschliessenden Antworten geben. Vielmehr spiegelt er meine persönliche Meinung und meine Erfahrung aus 20 Jahren Coachingtätigkeit wider, die ich im Grenzbereich zwischen Gesundheit und Krankheit, Coaching und Therapie gesammelt habe, in meinem Spezialgebiet „Burnout und Coaching zur beruflichen Reintegration“. Ich spreche hier auch nur solche Coaches an, die keine Psychotherapie- oder Heilpraktikerausbildung absolviert haben oder keine sonstige Heilerlaubnis besitzen.

Coaching ist keine Psychotherapie

Die Aussage ist eigentlich klar: „Coaching ist keine Psychotherapie und kann eine solche nicht ersetzen. Voraussetzung für ein Coaching ist eine normale psychische und physische Stabilität und Belastbarkeit beim Klienten.“ Diese Bedingung können wir (hoffentlich) überall dort nachlesen, wo Coaching als Methode und Disziplin definiert und gegenüber Psychotherapie abgegrenzt wird. Ein Life Balance Coach fokussiert sich darauf, Menschen dabei zu unterstützen, ein ausgewogenes Leben zu führen, indem sie Stress bewältigen, persönliche Ziele erreichen und ihre Work-Life-Balance verbessern. Diese Arbeit setzt voraus, dass die Klienten in der Lage sind, aktiv an ihrer Entwicklung mitzuwirken, ohne dass tiefergehende psychotherapeutische Interventionen notwendig sind. Die Ausbildung zum Life Balance Coach bietet die Werkzeuge und Methoden, um solche Prozesse professionell zu begleiten und den Klienten zu helfen, ihr volles Potenzial in einem gesunden, ausgeglichenen Leben zu entfalten.

Grenzerfahrungen und Fragen

Doch im Coachingalltag merken wir oft, dass die Grenzen und Übergänge fliessend sind. Manchmal bewegen wir uns auf einer Gratwanderung zwischen Coaching und Therapie. So sehen wir uns als Coach bei bestimmten Klient:innen bisweilen mit den folgenden Fragen konfrontiert, für die ich an dieser Stelle sensibilisieren möchte:

  • Wo beginnt und endet die „normale“ Gesundheit, Stabilität und Belastbarkeit des Kunden?
  • Ab wann werden „Coaching-Themen“ zu „psychopathologischen Symptomen“?
  • Welche psychischen Krankheiten gibt es, wie kann ich Symptome erkennen und einschätzen?
  • Wo sind meine Möglichkeiten und wo liegen die Grenzen meiner Kompetenz als Coach? Wo ‚darf’ ich noch coachen, wo sollte ich an einen Psychotherapeuten weiter verweisen?
  • Wann und wie darf ich ein Coaching durchführen, trotz oder gerade wegen ‚psychopathologischer’ Befunde oder Auffälligkeiten?
  • Wie gehe ich mit Suizid- oder Gewalt-Gedanken oder entsprechenden Äusserungen um?

Entscheidungshilfen und Tipps für die Praxis

Gerade der Umgang mit der Abgrenzungsthematik stellt hohe Anforderungen an unsere Professionalität und Ethik als Coaches. Supervision, Selbstreflexion, Psychohygiene und Fallbesprechungen sollten nicht nur aus diesem Grund selbstverständlich sein.

Wenn ich Coaches oder Betriebliche Mentor:innen ausbilde und begleite, gebe ich gerne folgende Überlegungen und Tipps mit:

  • Ich empfehle unbedingt den Besuch von Weiterbildungen im Bereich „Psychopathologie“ (der Lehre von den psychischen Störungen und Krankheiten) und Übung oder Austausch im Erkennen psychischer Krankheiten. ICD 11 und DSM-5 sollten für Dich als Coach keine Fremdworte sein.
  • Auch rechtlich solltest Du informiert sein. Auskünfte geben u.a. Berufs- und Coachingverbände.
  • Sei Dir der Grundsätze bewusst: Coaching ist keine Psychotherapie und kann eine solche auch nicht ersetzen. Coaching heilt nicht und behandelt nicht, weder Krankheiten noch Symptome. Ein Coach stellt keine Diagnosen und erstellt keine Gutachten.
  • Lasse Deine Klient:innen immer (!) ein entsprechendes Infoblatt unterschreiben, in welchem Du sie auf eben diese Abgrenzung hinweist.
  • Nutze ein Erstgespräch auch dazu, Dir ein Gesamtbild Deines Klienten zu machen (inklusive ‚Screening‘ von Stabilität und Gesundheit, ggf. Risikofaktoren, Krankheitssymptomen, Traumata, Suizidalität). Erstelle Dir gegebenenfalls Checklisten, um wichtige Punkte zu überprüfen und festzuhalten.
  • Frage bei Unsicherheit nach, ob Dein Klient in ärztlicher Abklärung oder Behandlung ist.
  • Baue Dir ein Netzwerk mit Spezialisten auf, an welche Du Deine Klient:innen im Fall der Fälle weiter verweisen kannst (Ärzte, Psychiater, Kliniken, Notfallnummern).
  • Triff Deine Entscheidung in der Gesamtschau und Analyse aller Faktoren: (1) Du als Coach und Deine Kompetenzen, (2) Dein Klient, seine Persönlichkeit und Stabilität, (3) sein konkretes Anliegen, das heisst sein Problem, sein Ziel und sein Auftrag an Dich.
  • Die Entscheidung für oder gegen ein Coaching triffst Du. Sei Dir Deiner Selbstverantwortung als professionell handelnde Fachperson bewusst. Bei ungutem Bauchgefühl: lass das Coaching sein und verweise den Klienten weiter.

Quellenangaben:
– DSM-5: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5®. Deutsche Ausgabe herausgegeben von P. Falkai und H.-U. Wittchen, mitherausgegeben von M. Döpfner, W. Gaebel, W. Maier, W. Rief, H. Saß und M. Zaudig, von American Psychiatric Association. Hogrefe 2018.
ICD 11
– Scharfetter, Christian: Allgemeine Psychopathologie. Thieme 2022.
– Norbert Weißig – Seminar „Psychopathologie I.“ am Fritz Perls Institut / Europäische Akademie für psychosoziale Gesundheit EAG / FPI, Hückeswagen (2001). Arbeitspapiere und persönliche Seminarmitschrift.
amboss.com

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Der Autor

Roger Marquardt

Name: Roger Marquardt

Beruf: Coach, Begleitperson, Lehrtrainer, Therapeut

Website: roger-marquardt.com

Motto: «Erkenne Dich selbst. Werde der Du bist»

Ausbildner: Zertifikat CoachDiplom Mental CoachBegleitung zur FachprüfungemTrace®

Seit 2005 ist Roger mit Leidenschaft und Begeisterung Emotions-Coach und hat sich auf die Anwendung moderner, integrativer und effektiver Kurzzeit-Methoden im Coaching spezialisiert. Vor seiner Karriere als selbständiger Coach, Berater und Trainer hat er erfolgreich ein Studium der Sozialpädagogik absolviert. Es folgten verschiedene Fortbildungen in Methoden der Persönlichkeitsentwicklung. Roger ist mehrfach zertifizierter Ausbildner, Coach und Lehrtrainer.